Das antike Sybrita: Prägestätte Kretas kunstvollster Münzen

von Burkhard Traeger
aus dem Sammler-Merkur Nr. 18
mit freundlicher Genehmigung der Hanseatischen Münzenhandlung Bremen

Auf dem Rücken und an den terrassierten Hängen des Hügels Kefalas westlich des gut 30 Kilometer von Réthymnon entfernten Dorfes Thrónos am Rande des Amaritales befinden sich die Überreste der antiken Polis Sybrita. Über die Gebirgsstadt am südlichen Rand des Idagebirges, deren Name „süßes Wasser“ aufgrund der in der nahen Umgebung befindlichen Quellen bedeutet, ist bisher nur wenig bekannt.

Ruine der minoischen Zeitepoche. Foto: Burkhard Traeger.

Die in jüngster Zeit durchgeführten Ausgrabungen haben gezeigt, dass der 618 m hohe Hügel Kefalas bereits in spätminoischer Zeit bewohnt war (Vassilákis 133). Die exponierte Lage Sybritas an den Handelswegen der Antike von Nord- nach Südkreta sowie Ost- nach Westkreta, die eine Kontrolle des weiten Amári-Beckens ermöglichte, ließ Sybrita in der hellenistischen Epoche zu einer blühenden Handelsstadt werden (Spanakis 743 f.). Zur Polis gehörte der Hafen Soulia am Libyschen Meer (heute Ágia Galíni) (Lauffer 644).

Le Rider IX, 7; Exemplar Slg. Traeger, Künker 136, 2008, 371; 24 mm; 11,26 gr.

Seit Mitte des 4. vorchristlichen Jahrhunderts unterhielt Sybrita enge Beziehungen mit Górtyna, wovon Bündnisverträge ebenso zeugen wie etwa die Münzprägung von Sybrita in der Zeit zwischen 360 und 330 v. Chr., als die Statere von Górtyna mit der Darstellung der Europa auf der heiligen Platane und Zeus in Stierform übernommen wurden (Stefanákis 11).

Le Rider IX, 8; Exemplar Sammler-Merkur 17, 59; 28 mm; 11,24 gr.

Unterscheidungsmerkmal von den entsprechenden gortynischen Prägungen ist die archaische Inschrift, die sich in den Zweigen der Platane befindet und den Namen des Prägeortes ausweist.
Ende des 3. vorchristlichen Jahrhunderts gehörte Sybrita dem Kretischen Koinon unter gortynischer Führung an und war Verbündeter Makedoniens. 204 v. Chr. zählte Sybrita zu den Städten, die von den Gesandten Philipps V. von Makedonien Perdikkas besucht wurden (Chaniotis 39). Ein Bündnisvertrag mit Górtyna aus der Zeit des späten 3. oder frühen 2. Jahrhunderts v. Chr., der auf einem Pfeiler des Pythions von Górtyna aufgezeichnet ist (Chaniotis 267-270), belegt, dass Sybrita auch in dieser Zeit unter dem Einfluss Górtynas stand. 183 v. Chr. zählte Sybrita zu den 30 kretischen Städten, die einen Bündnisvertrag mit dem engen Freund der Römer Eumenes II. abschlossen (Chaniotis 43).

Grundmauern aus römischer Zeit. Foto: Burkhard Traeger.

Gebäudeüberreste des antiken Sybrita sind auf dem Hügel Kefalas, den man auf steilem Pfad in etwa 15-minütiger Wanderung von der Mitte des Dorfes Thrónos aus erreicht, von der spätminoischen Epoche bis zur Zeit der Herrschaft der Römer über die Insel sichtbar. Diese sind bei den griechisch-italienischen Ausgrabungen freigelegt worden, wobei die Grabungen noch nicht abgeschlossen sind und von einem schwedischen Ausgrabungsteam fortgesetzt werden. Freigelegt wurden bisher zahlreiche Befestigungs- und Gebäudegrundmauern sowie Zisternen. Während auf der Hügelkuppe die Ruinen der minoischen Zeitepoche ausgebreitet liegen, erstrecken sich darunter in östlicher Richtung die Reste der Häuser aus hellenistischer und römischer Zeit.

Blick von der Kuppe des Kefalas zum Psolorítis-Massiv. Foto: Burkhard Traeger.

Großartig ist der Rundblick von der Ausgrabungsstätte über das Amári-Becken bis zum Gebirgszug des Kédros im Süden sowie dem Psilorítis-Massiv mit dem 2.456 m hohen Gipfel Timios Stavrós in östlicher Richtung.
Bekannt ist Sybrita insbesondere wegen seiner Münzen aus der Zeit gegen Ende des 4. und Anfang des 3. vorchristlichen Jahrhunderts.

Die vier in dieser Zeit geprägten Statere zeichnen sich durch eine hervorragende künstlerische Qualität der Münzabbildungen aus und zeigen, dass es den Bewohnern von Sybrita gelungen war, einen hochtalentierten Künstler zu gewinnen, dessen Erzeugnisse auf Kreta unübertroffen sind (Hurter in Auktion Leu 76, 1999, 138).

Svoronos 314,1, Taf. 30,12; Le Rider XXVII, 20; Exemplar SNG Lockett 2608; MM 66; 1984, 219; 26 mm, 10,78 gr.

Auf einem der Statere ist auf der Vorderseitenansicht der barttragende Dionysos auf einem Stuhl sitzend dargestellt, in seiner Linken den Thyrsosstab haltend und in der Rechten als Symbol der Trunksucht einen Kantharos. Auf der Rückseite ist Hermes aufrecht stehend als Wanderer mit Petasos und in die Chlamys gekleidet dargestellt, sein Kerykeion in der Linken haltend und in der rechten Hand eine Schale. Die Inschrift lautet SYBRITION.

Svoronos 315,4, Taf. 30,16; Exemplar Leu 77, 2000, 233; 21 mm; 10,79 gr.

Ein weiterer Stater der Polis zeigt die gleichen Hauptgötter in feinem Stil und hohen Relief mit ihren Köpfen abgebildet, Dionysos mit Bart und einem Kranz aus Weinlaub, davor eine Traube, Hermes mit Petasos, dahinter SYBRITION und davor ein Kerykeion.

Svoronos 315,6, Taf. 30,18; Le Rider IX, 11; Exemplar Leu 13, 1975, 183; 25 mm; 11,45 gr.

Auf der wohl interessantesten Silbermünze der Insel Kreta aus der Zeit Anfang des 3. vorchristlichen Jahrhunderts stellt Sybrita erneut Dionysos dar, dieses Mal jedoch jung und bartlos auf einem Panther reitend und damit auf ein bekanntes und beliebtes Thema hellenistischer Mosaiken verweisend, wie dies von Pella aus der Zeit Ende des 4. vorchristlichen Jahrhunderts, von attischen und kampanischen rotfigurigen Keramiken oder dem berühmten Mosaik aus dem Haus der Masken auf Delos bekannt ist (Stefanákis 11, LIMC III, sv. Dionysos 430-434). Auf der Rückseite der Münze ist Hermes nackt abgebildet, gebückt stehend mit einem Fuß auf dem Felsen sich die Sandale bindend; eine Darstellung, die auf das berühmte Werk des Lysippos aus der Zeit 330/20 v. Chr. verweist, das auf späteren römischen Kopien erhalten ist (LIMC V, s.v. Hermes 958-960).

Svoronos 315,5, Taf. 30,17; Le Rider IX, 10; Exemplar Sammler-Merkur; 26 mm; 11,30 gr.

Auf dem vierten Stater dieser Reihe sehen wir den Kopf des jungen Dionysos mit Efeukranz und langem Haar nach rechts, dahinter eine Weintraube, auf dem Avers, während den Revers Hermes in nachdenklicher Haltung nach links stehend schmückt. Am Hinterkopf erkennt man den Petasos, um die Achseln eine Chlamys, deren beide Enden um den linken Arm geschlungen sind; in der Rechten hält Hermes ein langes Kerykeion. SYBRITION bezeichnet rechts die Herkunft der Münze. Dass die Prägungen für die Bewohner der Polis Sybrita bei ihrer Beschreibung teils mit Omikron und teils mit Omega geschrieben werden, war bereits Gegenstand einer umfassenden Untersuchung (Naster 35 ff.), sollte jedoch nicht überinterpretiert werden und mindert den Reiz dieser vier herausragenden Münzen keineswegs.
Aus der 2. Hälfte des 3. vorchristlichen Jahrhunderts sind von Sybrita einige Bronzen bekannt, die jedoch bei weitem nicht die künstlerische Ausdruckskraft der früheren Silberprägungen aufweisen.

Literatur-Nachweise
Chaniotis, Angelos: Die Verträge zwischen Kretischen Poleis in der hellenistischen Zeit. Stuttgart 1996
Lauffer, S.: Griechenland, Lexikon der historischen Stätten. München 1989
Le Rider, G.: Monnaies crétoises du Ve au 1er siècle av. J.-C. Paris 1966
Naster, Paul: La légende SIBRYTIOI sur des monnaies de Sybrita, Revue belge de Numismatique t. XCIII, 35-40. Bruxelles 1947
Svoronos, J.-N.: Numismatique de la Crète ancienne. Macon 1890
Vassilákis, A. Sp.: Kreta, Geographie – Geschichte – Museen – Archäologische Stätten und Monumente. Athen o. J.
Spanakis, S. G.: Póleis kai choriá tis krítis sto pérasma ton aiónon, Tómos B. Herakleío 1991
Stefanákis, M. I.: Ta nomismata ton archaíon póleon tis Krítis, Chania 2000

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