Taschen – Auch ein Thema für die Numismatik
Man kann es nur als Deformatio professionalis bezeichnen, diese merkwürdige Eigenschaft, irgendetwas ohne numismatischen Vorsatz zu besuchen, um kurz darauf festzustellen, dass man schon wieder bis zum Hals in der Numismatik steckt. So mir kürzlich geschehen, als ich überraschend beschloss, nach langer Zeit dem Bayerischen Nationalmuseum einen Besuch abzustatten. Theoretisch hätte nichts weiter von der Numismatik entfernt sein dürfen als eine Ausstellung über die Geschichte der Handtasche. Tatsächlich lernte ich gleich auf der ersten Tafel rechts neben dem Eingang: Die Tasche entstand aus dem Bedürfnis heraus, repräsentativ zu zeigen, über welch große Menge an Geld man verfügen konnte.
Stielbeutel, Süddeutschland, erste Hälfte 16. Jh. Bayerisches Nationalmuseum (= in Folge BN) Inv. Nr. T 4098.
Denken Sie an die armen reisenden Händler im 16. Jahrhundert. Sie rechneten nicht wie wir in Euro, sondern in einer Vielzahl von Währungen. An der Grenze zu Basel lebend, trage ich selbstverständlich zwei Geldbeutel mit mir herum, einen für Euro, einen für Franken. Im 16. Jh. löste man das Problem anders, nämlich mit mehreren Beuteln an einem hölzernen Griff.
Geldbeutel für Frauen. Regensburg, 1604. BN Inv. Nr. T 4097.
Die Bürgerin von Welt trug dagegen einen kleinen Beutel am Gürtel.
9. und 10. Gebot, Schule des Veit Stoß, Nürnberg 1524. BN Inv. Nr. MA 1903. Foto: Bastian Krack.
Und wenn man sich auf diesem Relief ansieht, wie der Beutel getragen wurde, versteht man, warum die Langfinger in der frühen Neuzeit als Beutelschneider bezeichnet wurden.
Große Gürteltasche. Süddeutschland, um 1500. BN Inv. Nr. W 897.
Männer trugen ihre Tasche gerne am Gürtel. Dieses Exemplar enthielt nicht nur verschiedene Beutel, in denen kleine Gegenstände (Münzen?) verstaut werden konnten. Sie bot auch Platz für Wachstafeln und Griffel, um sich Notizen zu machen. Sehr praktisch, wenn es ans Kassieren ging. Eine ähnliche Tasche ist zum Beispiel auf der Darstellung eines Almosensammlers zu sehen, wie sie vor der Reformation durch das ganze Römische Reich zogen, um für Kirchneubauten und soziale Projekte finanzielle Unterstützung zu gewinnen.
Börse. Deutschland, 2. Viertel 17. Jh. BN Inv. Nr. T 1160.
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts änderte sich die Männermode. Nun trug der Bürger von Welt kurze Pluderhosen, in denen genug Platz war, um einen kleinen Geldbeutel in einem eingenähten Hosensack verschwinden zu lassen. Man brauchte also keine auffälligen großen Taschen mehr zum Repräsentieren, sondern kleine, nichtsdestotrotz gut gefüllte Beutel aus edlem Material.
Brieftasche. Frankreich, um 1650-1680. BN Inv. Nr. 96/709.
Wie sich Innovationen vor allem auf die Accessoires auswirken, zeigt der aufkommende Postverkehr, der nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges in ganz Zentraleuropa entstand. Nun konnten sich nicht nur diejenigen, die über einen persönlichen Boten verfügten, Briefe schicken. Auch der normale Mensch schrieb und erhielt Briefe. Natürlich brauchte man dazu die passende Tasche, in der diese wichtigen Schreiben transportiert wurden.
Brieftasche. Frankreich, um 1790. BN Inv. Nr. 88/424, 1-2.
Die Brieftasche entstand. Wir benutzen ja heute noch dieses Wort, um jene flachen Portemonnaies zu bezeichnen, in denen sich vor allem Geldscheine befinden. Dass dies auch früher so war, beweist eine im Bayerischen Nationalmuseum aufbewahrte Brieftasche aus Frankreich von 1790, in der sich noch ein kleiner Papierbogen mit drei Assignaten befand, auf denen ihr Ausgabewert von 5 Livres (Pfund) zu lesen war.
Umbindetaschen. England, 1. Hälfte 18. Jh. BN Inv. Nr. 96/601.
Die Damenwelt behalf sich zu dieser Zeit mit einer neuen Form von riesigem Geldbeutel, der diskret unter der Kleidung getragen werden konnte, ohne die schmale Silhouette der Taille zu verderben. Zwei große, flache Taschen wurden unter dem Überrock versteckt. Ein Schlitz im Kleid ermöglichte es, in sie hineinzugreifen.
Bügeltasche. Süddeutschland, um 1700. BN Inv. Nr. 4641.
Für den Alltag war das natürlich nichts. Kleinbürgerinnen, die den Einkauf für ihre Familie erledigten, benutzten Bügeltaschen, wie sie das Frauenzimmer-Lexicon von 1715 beschrieb: „Tasche. Ist ein länglicht runder aus Brocard, Sammet, Plisch (= Plüsch), Damast, Estoff oder anderen Zeug geneheter und an einen silbernen oder stählernen Bügel oder Schloß geheffteter Beutel, den das Frauenzimmer vermöge des daran befindlichen Hackens oder Rings von vornher an die Hüfften zu hengen, und ihr Ausgebe-Geld darinnen zu verwaren pfleget.“
Hochzeitsbörse, Limoges 1724. BN Inv. Nr. 96/714.1.
Wesentlich aufwändiger waren die Börsen gearbeitet, die ein frisch gebackener Ehemann seiner Angetrauten zur Hochzeit schenkte. Seit dem Mittelalter soll es diesen Brauch gegeben haben – und das nicht nur in Deutschland; in Frankreich kannte man die bourses de mariage. Natürlich waren die zu diesem Zweck verwendeten Börsen besonders hübsch gearbeitet. Die Stadt Limoges hatte sich zum Beispiel darauf spezialisiert, verzierte Emailbörsen für diese einmalige Gelegenheit zu produzieren. Übrigens findet man in den Musterbüchern von Limoges auch Börsen mit Heiligendarstellungen, was darauf schließen läßt, dass solche Börsen in besseren Kreisen auch anlässlich der Taufe wohl gefüllt übergeben wurden.
Geldstrumpf, Süddeutschland, 1790-1810. BN Inv. Nr. T1149.
Hat Ihre Großmutter auch noch ihre Ersparnisse im Strumpf versteckt? Was ich mir als Kind nicht so richtig vorstellen konnte, wurde mir sofort klar, als ich die Sparstrümpfe des 19. Jahrhunderts betrachtete. Es handelt sich dabei nämlich um eine Sonderform der Börse, schlauchartig und elastisch. Die Münzen konnte man durch einen Schlitz einschieben, der durch das Verschieben eines engen Rings wieder geschlossen wurde. Wahrscheinlich hat diese Börse nicht, wie noch im 19. Jahrhundert vermutet, ihren Ursprung im Strumpf, sondern in Militärschärpen, die man zur Geldaufbewahrung umarbeitete.
Ranzen. Nordtirol(?), 1816. BN Inv. Nr. 37/96.
Damit wäre der Geldstrumpf vom Ursprung her mit dem Ranzen verwandt, einer süddeutschen Sonderform des Safes. Ähnlich wie moderne Touristen ihre Barschaft in einem Gürtel mit Reißverschluss versorgen, brachten reiche Tiroler Bauern ihre klingende Münze im Inneren des „Ranzens“ unter, also in einem breiten, flachen Gürtel, in dem ein schlauchartiger Beutel untergebracht war. Wenn man also damals von einem sagte, er habe einen „dicken Ranzen“ hieß das keinesfalls, dass der Betroffene vielleicht hätte abnehmen sollen.
Gürteltasche. Bayern, datiert 1854. BN Inv. Nr. 34/107.
Vorfahr der heute im bayerischen Wirtsgewerbe zum Teil noch üblichen Bauchtasche für Bedienungen ist die Gürteltasche, die im 19. Jahrhundert die einfacheren Frauen trugen. Sie hatte sich aus der Bügeltasche (Abb. 7) entwickelt und sieht nun schon sehr modern aus.
Geldbörse von Ludwig I., König von Bayern. BN Inv. Nr. 21/164.
Natürlich gab es diese Börsen auch in einer kleineren, feineren Ausgabe. Diese eigneten sich auch dazu, in einem Beutel oder einer Reisetasche mitgetragen zu werden, wo man alles aufbewahren konnte, was man unterwegs so brauchte.
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Börse in Dosenform. Süddeutschland, um 1850-1880. Bayerisches Nationalmuseum Inv. Nr. 56/119.
Die Formen waren vielfältig. Es gab kleine Bügelbörsen, kleine Säckchen mit Zugband, entzückende Geldstrümpflein und eine Unzahl von Sonderformen wie diese Börse in Dosenform.
Aber damit sind wir eigentlich schon fast in der Gegenwart angekommen. Die feine Dame trug eine Handtasche, in der sie ihre Börse, die Schlüssel und so dies und das aufbewahrte. Der Herr von Stand entschied sich für eine Brieftasche, die flach ins Sakko passte. Die Münzen konnte man in der Börse oder lose im Hosensack befördern.
Wenn Sie mehr zu dem Thema wissen wollen, kann ich Ihnen den Katalog der Taschen-Bestände des Bayerischen Nationalmuseums aus der Feder von Johannes Pietsch empfehlen. Er hat einen Katalog verfasst, der einem auch wunderbar dabei hilft, Börsen und Brieftaschen chronologisch einzuordnen, wenn man so etwas einmal für eine Auktion bestimmen muss.
Für die wunderschönen Bilder danken wir dem Bayerischen Nationalmuseum. Sie sind alle © Bayerisches Nationalmuseum. Die Fotos wurden gemacht, sofern nicht anders erwähnt, von Walter Haberland.
Einen Besuch der Sonderausstellung im Bayerischen Nationalmuseum kann man nur empfehlen. Nähere Informationen gibt es hier.
Für 38 Euro zuzüglich Versandkosten können Sie den großartig bebilderten Spezialkatalog „Taschen – Eine europäische Kulturgeschichte 1500-1930“ hier bestellen.
Das Bayerische Nationalmuseum hat auf Youtube einen eigenen Kanal. Schauen Sie doch mal vorbei.