Waser – ein verleumdeter Bürgermeister und seine Münzen


mit freundlicher Genehmigung von Jürg Conzett / MoneyMuseum Zürich

In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts war Zürich nicht größer als heute ein Vorortquartier. Etwa 9.000 Einwohner lebten in der Stadt, und von diesen zählten nur etwa 1.500 zu den Bürgern und damit zu den Männern, die ihre politische Meinung zum Ausdruck bringen konnten. Ein kleiner Kreis also, ein Kreis, in dem Solidarität gedieh, aber auch Neid, Missgunst und üble Nachrede.

Herrenporträt Johann Heinrich Waser von 1654, gemalt von Conrad Meyer. Öl auf Leinwand. Schweizerisches Landesmuseum Zürich. http://webcollection.landesmuseen.ch / Wikipedia.

Dies wusste Johann Heinrich Waser (1600-1669), der am 28. Juni 1652 zum Bürgermeister von Zürich gewählt wurde. Seit seiner ersten Anstellung als Volontär im Zürcher Stadtschreiberamt hatte er begriffen, dass jedes Geschenk, das er von dankbaren Untertanen und Standesgenossen erhielt, den Neid seiner Mitbürger erregen konnte. So versuchte Waser stets einen Beweis für seine Rechtfertigung parat zu haben, indem er darauf achtete, dass alle Kosten und Einnahmen, die ihm aus seinen Ämtern erwuchsen, irgendwo schriftlich festgehalten wurden. Wir verfügen über eine Fülle von finanziellen Details hinsichtlich der Karriere Wasers. So wissen wir zum Beispiel, dass Waser seinen Eintritt in die Zunft zur Schmieden mit 30 Pfund bezahlte (= 600 Zürcher Schillinge oder 8 1/3 Taler), und zusätzlich „freiwillig“ einen Umtrunk zu spenden hatte, der ihn weitere 27 Pfund kostete (= 540 Zürcher Schillinge oder 7 1/2 Taler).
Besonders heikel waren die Geschenke, die Waser als Gesandter im Auftrag der Stadt Zürich von seinen Verhandlungspartnern erhielt. Sie waren zwar üblich, konnten aber als Bestechung gedeutet werden. Über sie legte Waser besonders genau Rechnung ab. Greifen wir hier als willkürliches Beispiel die 469 Gulden und 24 Schillinge (= 18.784 Zürcher Schillinge oder 261 Taler) heraus, die Waser im Jahr 1644 von den Bündnern erhielt. Er hatte dort als Schiedsrichter in einem Streit zwischen Davos und Glarus im Auftrag der Stadt Zürich gewirkt. Er informierte den Zürcher Seckelmeister über das Geschenk und deckte damit die Reisekosten in Höhe von 169 Gulden und 24 Schillingen (= 6.784 Zürcher Schillinge oder 94,2 Taler), die sonst Zürich hätte zahlen müssen. Seiner Heimatstadt verrechnete er für die mühsame Mission lediglich den Ross- und Reitlohn seines Begleiters. Ein weiteres Beispiel wären das Dutzend vergoldeter Becher im Gewicht von 108 Lot (= 8.640 Zürcher Schillinge oder 120 Taler), welche ihm die 36 Pfarrer der Vogtei Kyburg überreichten, denen er eine wesentliche Aufbesserung ihrer Einkünfte verschafft hatte. Geschenke an Politiker waren damals also Gang und Gäbe, galten noch nicht als Bestechung. Anrüchig wurden sie lediglich, wenn ein Mächtiger seine Untergebenen gezwungen hatte, ihm reiche Geschenke zu präsentieren oder, noch schlimmer, wenn reiche Geschenke die Meinung des Beschenkten zu Ungunsten der Stadt Zürich beeinflusst hatten.

Ludwig XIV. empfängt 1663 eine Delegation der Eidgenossenschaft, geführt von Johann Heinrich Waser. Gemälde von Adam Frans van der Meulen. Quelle: Wikipedia.

Und genau dieses Vergehens habe sich Johann Heinrich Waser bei der Beschwörung des Soldvertrags 1663 gegenüber Ludwig XIV. in Paris schuldig gemacht, so raunte man in Zürich hinter vorgehaltener Hand. Dieser Soldvertrag war von Frankreich unter Androhung von wirtschaftlichen Sanktionen regelrecht erzwungen worden. Waser hatte sich als Realpolitiker für das Bündnis ausgesprochen. Seine Gegner, vor allem unter den ehemaligen Söldnern in französischen Diensten zu suchen, waren nicht grundsätzlich gegen den Vertrag. Sie forderten aber die Zahlung aller ausstehenden Schulden vor dessen Abschluss. Sie hatten vom französischen König noch Soldzahlungen in Höhe von 912.933 Französischen Francs (= ca. 22.823.325 Zürcher Schillinge oder 316.991 Taler) zu Gute. Ihre Forderung war völlig unrealistisch. Weder war Frankreich, das sich gerade von der Misswirtschaft Fouquets erholte, zu diesem Zeitpunkt in der Lage, das Geld aufzubringen, noch hatte es dies nötig: Frankreich saß am längeren Hebel und konnte Zürich durch den Entzug aller Handelsprivilegien schwersten wirtschaftlichen Schaden zufügen.
Der größte Teil des Zürcher Regiments stand hinter Wasers Realpolitik, die Minderheit, die sich mit der Macht- und Hilflosigkeit Zürichs in diesem Fall nur schwer abfinden konnte, machte Waser zu ihrem Sündenbock. Immer wieder überprüfte der Rat noch vor Abschluss des Soldvertrags die Anschuldigungen, die Zürcher in meist angetrunkenem Zustand gegen ihren Bürgermeister erhoben. Keine einzige konnte erwiesen werden. Alle Verleumder mussten Strafe zahlen. Rittmeister Hirzel zum Beispiel kostete seine Beleidigung Wasers als „untreuen Regenten“, der mit seiner Politik einen „Uflauff“ (= Aufstand) geradezu herausfordere, 150 Mark Silber (= 15.000 Zürcher Schillinge oder 208 Taler).
Dagegen nimmt sich das Ehrengeschenk, das Waser nach der offiziellen Beschwörung des Soldvertrags in Paris von Ludwig XIV. erhielt, nicht allzu üppig aus. Es bestand aus Ketten, Gnadenpfennigen und Bargeld im Wert von 2.305 Gulden (= 92.200 Zürcher Schillinge oder 1.281 Taler). Der Wert der Geschenke wurde von einem amtlich bestellten Schätzer, dem Münzmeister Hans Heinrich Simmler, ermittelt. Der Rat beschloss, dass alle Gesandten ihre Geschenke behalten durften und bezahlte ihnen darüber hinaus noch die Auslagen, welche durch den Aufenthalt in Frankreich erwachsen waren. Keine Rede davon, dass die Geschenke an Waser zum Zeitpunkt seiner Rückkehr vom Regiment als rechtswidrig empfunden wurden.

Sogenannter Wasertaler mit einem floralen Element auf der Rückseite, das Böswillige als französische Lilie interpretieren wollten. © Sturzenegger Stiftung / Museum zu Allerheiligen / Schaffhausen.

Sie wuchsen erst in der Gerüchteküche zu dem Fässlein mit Gold, das ein Zöllner in Mellingen gesehen haben wollte, bzw. zu einem Felleisen voll Gold, das ein Diener Wasers aus Frankreich heimgetragen haben sollte. All diese Anschuldigungen wurden 1669 in einem großen Prozess widerlegt und Waser völlig rehabilitiert, doch damit verstummte das Gerede nicht. Waser konnte dem nicht mehr entgegentreten. Er lag schon zum Zeitpunkt des Prozesses auf dem Totenbett.

Zürcher Taler überprägt auf den „Wasertaler“ – deutlich sichtbare Spuren der alten Prägung vor allem auf der Vorderseite. © Sturzenegger Stiftung / Museum zu Allerheiligen / Schaffhausen.

Wer nicht mehr für sich sprechen kann, ist der perfekte Sündenbock und so machte man in den Straßen von Zürich Waser dafür verantwortlich, dass der Vertrag mit Ludwig XIV. geschlossen worden war. Die Unzufriedenheit damit steigerte sich noch, als die Zürcher realisierten, dass er ihnen nicht einmal die erhofften Vorteile sicherten. Die Missstimmung entlud sich in der Ablehnung der Person Wasers. Sichtbares Zeichen dafür sind die überprägten Wasertaler, Münzen, die auf Schrötlinge der noch nicht abgenutzten Taler aus dem Jahr 1660 geprägt wurden, für welche Bürgermeister Waser und Seckelmeister Schneeberger verantwortlich zeichneten. Das kleine Ornament auf der Rückseite der Stücke interpretierte der Volksmund als Lilie. Mit ihr sollte Waser schon 1660 seine profranzösische Gesinnung gezeigt haben. Die Zürcher weigerten sich, diese Taler für den Zahlungsverkehr zu benutzen, und so blieb dem Regiment der Stadt Zürich nichts anderes übrig, als sie einziehen und neu ausprägen zu lassen. Ein Fässchen von Wasertalern entging diesem Schicksal, weil es im Staatsschatz vor dem Umprägen gelagert und dabei vielleicht vergessen wurde. Im Jahre 1798 entdeckten es die französischen Truppen. Es wurde beschlagnahmt und sein Inhalt dem normalen Zahlungsverkehr zugeführt. So sind einige dieser seltenen Zeugnisse aus der Zeit des verleumdeten Bürgermeister Wasers auf uns gekommen.

Weiterführende Literatur:
Norbert Domeisen, Bürgermeister Johann Heinrich Waser (1600-1669) als Politiker. Ein Beitrag zur Schweizer Geschichte des 17. Jahrhunderts. Bern 1975.

Der Text ist entnommen der Broschüre „Die Zürcher und ihr Geld“ publiziert anlässlich der gleichnamigen Ausstellung des Landesmuseums Zürich im Museum in Zusammenarbeit mit dem MoneyMuseum Zürich im Museum Bärengasse 2006. Sie finden den Text dort mit wissenschaftlichen Anmerkungen.

Die abgebildeten Münzen stammen aus dem Museum zu Allerheiligen. Mehr über dieses Museum finden Sie hier.

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