Schiffahrt und Aberglauben in der Antike
Im Jahre 175 besuchte der Kaiser Marcus Aurelius zusammen mit seiner Frau Faustina Kyzikos. Diese Ehre war für die Stadt ein willkommener Anlass eine prachtvolle und umfangreiche Münzemission herauszugeben. Einer der Rückseitenstempel zeigt dabei in allen Details das Schiff, mit dem der Kaiser in die Stadt kam. Diese Darstellung zeigt viele Einzelheiten, die uns ein Bild vom römischen Schiffbau geben können.
Kyzikos (Mysien), Bronzemedaillon, Faustina II. Rs.: Kriegsschiff n. l. fahrend. Auf dem Bug Figur eines Tritons, das Muschelhorn blasend. Unter dem stark geschwungenen Heck steht zwischen zwei Legionsadlern das Zelt mit darinsitzendem Keleustes (lat. symphoniacus oder hortator), der in der Hand Trommelschlegel zu halten scheint. Unter dem Schiff deuten Wellenlinien und Fische das Meer an. Mion. II, 542, 193. Aus MMAG, Basel 81 (1995), 469.
Als Eindringling in die endlose Weite des Meeres, so empfanden sich schon die Griechen, ausgeliefert der Macht des Meeres und dem Mutwillen der Götter, die glückliche Fahrt schicken konnten oder Schiffbruch und Untergang. Da halfen nur Gebet, Magie und gute Tarnung. Die Schiffe wurden den Meerestieren angepasst, der Schiffskörper zum Tier gemacht, quasi animalisiert: Der Spornbalken am Bug wurde zur Tierschnauze, ein Auge auf die Seitenwand aufgemalt und die Heckzier, das Aphlaston wie ein Schwanz nach innen gebogen. So konnte das ‚Schifftier‘ durch hervorragende Mimikry eintauchen in das Element Meer ohne als fremd empfunden und als Eindringling vernichtet zu werden.
Galionsfigur der Seute Deern. Foto: Uwe Horst Friese, Bremerhaven / Wikipedia.
Dies war nicht der einzige Schutz, den ein Schiff von seinen Erbauern erhielt. Wir können hier auf dieser Münze sehr gut die Gallionsfigur erkennen. Sie war als eine mit dem Schiff mitziehende Gottheit gedacht, die schützen konnte, wenn die Landgottheiten auf dem Meer ihre Macht verloren. Sie war vorne am Schiff aufgestellt, um als erste die gefährlichen Wellen zu sehen und sie nach Möglichkeit aufzuhalten. Hatte irgendein Mitglied der Schiffsbesatzung an Bord einen Frevel begangen, musste die Crew sie versöhnen, um weiterhin in den Genuss ihres Schutzes zu kommen. Wenn ein Matrose sich zum Beispiel an Bord die Haare oder die Nägel geschnitten hatte, dann drohte dem ganzen Schiff Sturm und Untergang. Da das abgeschnittene Haar oder die Fingernägel magisch für den ganzen Menschen standen (man denke nur an die Wachspüppchen des Voodoo-Zaubers, die erst durch solche Bestandteile ihre magische Macht erhalten), glaubten die Fahrensleute, dass das Meer einen Sturm aufbieten würde, um den ganzen Menschen verschlingen zu können, über den ihnen im Haar schon ein Teil der Gewalt gegeben war. Dies konnte nur verhindert werden, indem die schützende Gottheit am Bug mit dem Blut des Frevlers besänftigt wurde. 40 Hiebe mit dem Tauende verhinderten den Untergang des Schiffes.
Normalerweise waren die Schutzgottheiten aufgemalte, einfach herzustellende Götterbilder. Ganze Statuen, wie auf dem dargestellten Schiff, waren selten, da sie sehr kostspielig und nautisch völlig unzweckmäßig waren. Wir können daran erkennen, dass es ein besonders luxuriöses Staatsschiff war, das den Kaiser nach Kyzikos brachte. Als Schutzgottheit dient eine Statue des Triton. Dieser Sohn des Poseidon und der Amphitrite war – auf der Darstellung deutlich erkennbar – von den Hüften an fischleibig. In der rechten Hand hält er ein Muschelhorn, um darauf zu blasen.
Diese Schutzgottheit war nicht die einzige Vorsichtsmaßnahme, die Bootsbauer ergriffen, um ein Schiff vor den Wellen zu behüten. Auch die Bugzier war durch ihre spitze Form apotropäisch, das Unheil abschreckend. Vermutlich war sie zusätzlich vergoldet, da alles „Strahlende und Glänzende furchtbar und schrecklich ist“ und damit das Böse abhält.
Rammsporn eines griechischen Schiffes, 2. Jh. v. Chr. Israeli National Maritime Museum – Exhibitions / Wikipedia.
Gegen Feinde ganz anderer Natur war der Rammsporn gedacht: Jahrhundertelang versenkte man feindliche Schiffe, indem man sie seitlich mit dem Rammsporn aufspießte. Durch geschickte Rudermanöver versuchten die Kriegsschiffe in der Schlacht die ungeschützte Seite des Gegners vor den Rammsporn zu bekommen. Deshalb galt in der bildenden Kunst der Antike das Ruderschiff als das Kriegsschiff schlechthin.
Da Griechen und Römer das Segel nur bei von hinten kommendem Wind als Antriebskraft nutzen konnten, verließen sie sich in der Schlacht lieber auf die sicherere Antriebskraft der trainierten Ruderer. Der Mast galt als Hilfstakelage, die je nach Bedarf eingeklappt werden konnte oder überhaupt an Land gelassen wurde. Erst in der byzantinischen Flotte wurde der fest eingebaute Mast mit dem Lateinsegel eingeführt, einem dreieckigen, von den Arabern erfundenen Segel mit dem man auch gegen den Wind segeln konnte.
Auf unserer Münze sehen wir 9 Ruder, die aus einem Remenkasten herauskommen. Die erste Reihe der Ruderer ist ebenfalls zu sehen. Tatsächlich steht diese erste Reihe wohl als pars pro toto für mindestens jeweils drei Ruderer pro Seite an jedem Ruder. Das lange Training, das nötig war, um griechische Schlachtschiffe zu manövrieren, umging man in Rom, indem man drei Mann an ein Ruder setzte, von denen ein erfahrener Rojer als Schlagmann den Rudertakt hielt, während die anderen nur ihre Muskelkraft beisteuerten.
Als Ruderer wurden auf Kriegsschiffen nie Sklaven verwendet. Die Seeleute waren Soldaten; die Hierarchie war der des Heeres angepasst. Dazu kamen die Seeoffiziere: Der gubernator oder Steuermann, der proreus oder Bugoffizier und der Keleustes. Letzterer war Zahl- und Proviantmeister. Dazu hatte er die Verantwortung für die Ruderer. Er gab den Takt und die Schlagzahl an. Unterstützt wurde er durch den symphoniacus, den wir in dem kleinen Zelt auf dem Bug sehen, wo er mit einem Tympanon den Takt für die Ruderer schlägt.
Der heiligste Platz, die eigentliche Seele des Schiffes war das Heck. Deshalb wurden auf den römischen Schiffen dort die Feldzeichen aufbewahrt. Wir sehen sie deutlich rechts und links von dem Zelt des Keleustes. Die späthellenistisch-römischen Schiffe kannten das erhöhte Heck mit Galerie, eine Vorform des Achterkastells, die Platz bot für luxuriöse Kabinen. Auch unsere Münze zeigt deutlich, dass das Zelt auf einer erhöhten Plattform steht, unter der sich wohl die Kabinen für die vornehmen Reisenden befunden haben.
Im hinteren Teil des Schiffes sehen wir deutlich das Ruder. Es war in der Antike heilig, da es ununterbrochen in die reinigende Kraft des Meeres eintauchte. Das Meer galt als reinigend. So wurden Götterbilder zeremoniell im Meer gereinigt. Von einem Menschen, der ein vorbildliches Leben führte, sagte man, er lebe „heiliger noch als das Steuerruder“.
Byzantion (Thrakien). Tetradrachmon, 3. Jh. Demeter. Rv. Poseidon, in der erhobenen Rechten Aphlaston. Schönert-Geiss 1002. Aus Auktion Gorny & Mosch 199 (2011), 142.
Der hinterste Teil des Schiffes ist das Aphlaston, eine Heckzier aus mehreren fein aufgespalteten Hölzern, die – hier leider nicht sichtbar – bei römischen Schiffen mit einem Rundschild verziert waren. Schiffsbautechnisch setzte sich das Aphlaston aus den fächerartig ausstrahlenden und nach innen gebogenen Enden der Barghölzer am Heck zusammen. Es galt als „pars pro toto“. Maritime Gottheiten halten das Aphlaston als Attribut in der Hand und von der legendären Argo ist überliefert, dass sie bei der Durchfahrt durch die zusammenklappenden Felsen, die Symplegaden, ihr Aphlaston verlor, als die Felsen hinter ihr zusammenschlugen. Die Felsen hatten also das Aphlaston der Argo stellvertretend für das ganze Schiff als Opfer angenommen.
Schiffsleute sind ein abergläubisches Volk. Das dauernde Ausgeliefertsein an die Elemente macht sie empfänglich für Vorahnungen und Orakel. So gab es in der römischen Antike eine entwickelte Kunst der Vorhersage aus den Körperzuckungen der Mannschaftsmitglieder. So können wir nur hoffen, dass beim Aufbruch des Schiffes nach Kyzikos die linke Nasenseite des Steuermannes zuckte, denn das bedeutete eine gute Fahrt und sichere Ankunft.
Allerdings brauchte sich die Besatzung nicht allzu viel Sorgen zu machen, denn der Kaiser als Heilsbringer war mit Sicherheit eusebes (= Gott wohlgefällig) und brachte euploia (= gute Fahrt). Ein Reiner konnte kraft seiner Frömmigkeit für das ganze Schiff als Talisman dienen. Und wenn das nicht helfen sollte (wenn zum Beispiel der Kaiser seine Reinheit verloren hätte, weil er mit seiner Kaiserin das Bedürfnis gehabt hätte, für den kleinen Commodus noch ein Brüderchen zu zeugen, was auf einem Schiff als äußerst frevelhaft galt), dann hatte man ja immer noch eine Frau, nämlich Faustina an Bord. Diese hatte im Aberglauben der Schiffer die Fähigkeit, den Sturm allein damit zu besänftigen, dass sie ihre Scham entblößte, ein Verfahren, das die lykischen Frauen bereits mit Erfolg praktiziert hatten: Mit ihren hochgehobenen Gewändern trieben sie eine von Poseidon geschickte Flut zurück.
Schale des Exekias. Dionysos auf einem Schiff segelnd, um ihn herum Delphine. Foto: Matthias Kabel / Wikipedia.
Aber zu erwarten war ein Schiffbruch auf keinen Fall, wie die Münze deutlich zeigt. Unter den Wellen sieht man nämlich vor dem Schiff zwei Delphine als Begleiter. Die Delphine galten als die heiligsten und göttlichsten aller Seetiere, sozusagen als die Könige der Meerestiere. Sie waren geradezu ein Sinnbild für die gute Seereise und Plinius 9, 28 selbst gibt zu, dass die Legenden über Delphine, die Schiffe oder einzelne Reisende aus Seenot gerettet hatten, unübersehbar waren. Dionysos hatte die Besatzung eines Piratenschiffes, die versucht hatte, ihn zu entführen, in Delphine verwandelt, die zur Sühne die Schiffe begleiten müssen, um ihnen gute Fahrt zu bringen.
Pilotbarsche begleiten einen Weißspitzenhai. Foto: Peter Kölbl / Wikipedia.
Noch einen zweiten Fisch zeigt uns die Münze aus Kyzikos. Unter dem Schiff, eng beim Ruder sehen wir einen Pompilos, einen Lotsenbarsch, einen zur Gattung der Scombriden gehörenden Naucrates ductor. Sein Platz war in der Darstellung dicht beim Steuerruder am Heck, von wo aus er dem Aberglauben nach das Schiff bis in die Küstennähe steuerte. Dort erst drehte er ab und schwamm auf das offene Meer hinaus, um einem anderen Schiff als Lenker zu dienen. Natürlich galt für beide Fische ein Speisetabu. Es wäre ja höchst undankbar von den Matrosen gewesen, ihre treuen Beschützer und Begleiter aufzuessen.
Mit so treuem Geleit konnte dem Kaiser auf seiner Schiffahrt gar nichts passieren und so steht in Vorwegnahme bereits auf dem Bug des Schiffes das, was der Stadt gleich entgegengerufen werden sollte, wenn der Kaiser sich anschickte endlich wieder festen und sicheren Boden zu betreten: CHAIRE POLI, freue Dich, Stadt, Dein Kaiser kommt.