Ein Tempel für Honos
Honos bedeutet eigentlich nichts anderes als Ehre und uns mag es heute schon bemerkenswert erscheinen, daß die Römer der Ehre einen Tempel erbauten. Doch für einen Römer war daran nichts Merkwürdiges. Um zu verstehen, wie die Ehre zu ihrem Tempel kam, müssen wir uns mit ein paar Grundzügen der römischen Religion vertraut machen.
Traianus. Sesterz. Rv. Tempel für Honos. Aus Auktion UBS 78 (2008), 1605.
Ursprünglich war der Glaube der Römer der Glaube eines Bauernvolkes, das staunend vor den unbegreiflichen Vorgängen des Wachsens und Vergehens erschauerte. Das Wachsen des Getreides und das Fruchttragen der Bäume waren so geheimnisvoll und gleichzeitig so lebenswichtig, daß die Römer die einzelnen Vorgänge im bäuerlichen Jahr zu Göttern machten. Es gab eine Göttin Blühen, eine Göttin Obst, einen Gott Speicher und eine Göttin Wachstum. All diese Götter hatten eigentlich keine menschliche Gestalt. Sie waren weder Mann noch Frau, sondern etwas Unpersönliches. Das können wir am ehesten noch im Kult der Vesta nachvollziehen, die für das Herdfeuer stand und im Herdfeuer verehrt wurde.
Um nun irgendeine Handlung erfolgreich zu Ende zu führen, war es unumgänglich nötig, alle an dieser Handlung beteiligten Beschützer anzubeten. Wenn zum Beispiel der Priester für eine gute Ernte betete, dann rief er beim Opfer folgende Götter an: den ersten Pflüger, den zweiten Pflüger, den Einfurcher, den Säer, den Bepflüger, den Egger, den Jäter, den Hacker, den Schnitter, den Einbringer, den Speicherer und den Ausgeber. Sie alle mußten verehrt werden, wenn die Ernte sicher eingebracht werden sollte.
Dieses Götterverständnis wich grundsätzlich von dem ab, was die Griechen glaubten. Ein Grieche hätte wohl zu Zeus gebetet, um Ehre zu erhalten, oder zu Ares, wenn er an Ehre dachte, die mit einer erfolgreichen militärischen Karriere verbunden sein sollte, oder zu Athena, wenn er eher an wissenschaftliche Ehren interessiert war. Ein Römer verehrte stattdessen Honos selbst, die Ehre, die einem aufgrund von Leistungen zuerkannt wurde. Deshalb auch wurde Honos mit Virtus verbunden, mit der Gottheit, der man im Zusammenhang mit Tugend Opfer brachte. Honos und Virtus mußten ein Götterpaar sein, denn auch im täglichen Leben hingen sie eng zusammen. Virtus, also alle Fähigkeiten und Tugenden, die ein Mann (= lat. vir) haben konnte, führten zu Honos, der Ehre und dem Ansehen, das so einem Mann gebührte.
Römische Republik. Denar des P. Cornelius Lentulus Marcellinus, 50. Kopf des M. Claudius Marcellus n. r. Rv. Marcellus trägt die Trophäe in den Tempel. Cr. 439/1. Aus Auktion Künker 174 (2010), 551.
Deshalb gelobte M. Claudius Marcellus im Jahre 222 v. Chr. den beiden Gottheiten einen Tempel. Er hatte im Kampf gegen die Gallier die höchste aller möglichen Leistungen erbracht und deshalb eine außergewöhnliche Ehrung erhalten: Er hatte im Zweikampf den Anführer der feindlichen Gallier besiegt. Das war die Tat eines Helden, was die Römer damit honorierten, daß Marcellus persönlich seine Beute aus dem Zweikampf, die Waffen des feindlichen Anführers, im Tempel des Iupiter weihen durfte. Im Jahr 208 wollte Marcellus den Göttern seinen Dank abstatten und sein Gelübde einlösen, doch – um Kosten zu sparen – versuchte er einfach, einen bereits bestehenden Tempel für Honos allein auf beide Gottheiten umzuwidmen. Dieser war im Jahre 234 v. Chr. von Q. Fabius Maximus Verrucosus nach seinem Sieg über die Ligurer gebaut worden. Doch Marcellus hatte keinen Erfolg. Der Senat fand, das sei eine allzu billige Methode, um sich des Gelübdes zu entledigen. So baute der siegreiche Feldherr einfach der alten Cella von Honos eine neue Cella für Virtus an. Im Jahre 205 v. Chr. wurde dieser Tempel von seinem Sohn eingeweiht. Vespasian ließ unter seiner Herrschaft das Gebäude wiederherstellen.
Es spricht einiges dafür, daß der Tempel auf unserer Münze dieser Tempel für Honos ist. Die Statue im Inneren, die der Stempelschneider, um eine Identifizierung zu erleichtern, nach vorne in die Fassade gerückt hat, zeigt einen Mann mit einer Drapierung um die Hüften. In der rechten Hand hält er ein Szepter, mit der linken ein Füllhorn. Ähnliche Darstellungen tragen auf anderen Münzen explizit die Bezeichnung Honos. Doch können wir uns anhand dieser Münze genau vorstellen, wie der Tempel selbst aussah?
Münzen sind keine Fotos. Römische Stempelschneider hatten nicht das Bedürfnis einen Tempel bis ins Detail genau wiederzugeben. Sie stellten stattdessen das dar, was ihnen wichtig erschien. Von Bedeutung war es, wem der Tempel geweiht war, deshalb mußte der Besitzer deutlich sichtbar sein. Oft, doch nicht immer, wurde deshalb seine Darstellung in die Fassade integriert, manchmal in Gestalt der Kultstatue. In Wirklichkeit war davon natürlich nichts zu sehen, die Gottheit wohnte verborgen im Inneren der Cella. Völlig unwichtig war es dagegen, wie viele Säulen ein Tempel hatte, deshalb finden wir immer wieder Darstellungen vom selben Tempel, die in solchen quantifizierbaren Dingen voneinander abweichen. Figuren- und Reliefschmuck auf dem Gebäude war nur dann wichtig, wenn ihn der Stempelschneider in Verbindung mit der Aussage seiner Münze als wichtig empfand. Deshalb kennen wir Darstellungen, die ganz genau wiedergeben, welchen Figurenschmuck ein Gebäude besaß und andere, die nur durch ein paar Linien als Kürzel Figurenschmuck im allgemeinen andeuten wollen.
Warum nun finden wir ausgerechnet den Tempel der beiden Gottheiten Honos und Virtus auf dieser Traianischen Münze und warum ist von beiden Gottheiten nur eine gezeigt, nämlich Honos und nicht Virtus? Weder Honos noch Virtus waren ja Gottheiten, die zu den wichtigsten im Staate gehörten. Um das zu verstehen, müssen wir uns die Münzumschrift ansehen: SPQR OPTIMO PRINCIPI – Auf Beschluß des Senats und des Volks von Rom dem besten Princeps. Es lag also eine Ehrung vor, Senat und Volk von Rom hatten Traian den Titel „Bester Princeps“ verliehen. Nun, die Ehrung war offensichtlich, genauso wie die Statue von Honos auf der Rückseite der Münze, aber Voraussetzung für diese Ehre waren die unzähligen Leistungen des Traian, war seine Virtus. Und genauso wie Virtus im Tempel zu Honos gehörte, waren diese Leistungen der eigentliche Grund für Traians Ehrung, was der beste aller Principes aber – so die verborgene Aussage dieser Münze – vor lauter Bescheidenheit eigentlich gar nicht hören wollte.