Ein König in Nöten – Die gestohlene Münzsammlung von Vittorio Emanuele III.
Zur Hundertjahrfeier der Publikation des 1. Bandes des CNI
In der 26. Ausgabe des Nebelspalters aus der Kriegsjahr 1944 erschien eine Karikatur, die dem unbedarften Beschauer von heute zunächst Rätsel aufgibt.
Karikatur aus dem Nebelspalter vom Juni 1944.
Da sitzt ein deprimierter Mann vor dem Titusbogen in Rom. Er hat einen kleinen Verkaufstisch aufgeschlagen. Ein einfacher Straßenhändler also, möchte man denken, einer, der den Touristen kitschige Andenken andreht. Und auf einem Plakat gibt der Mann zu erkennen, mit was er handelt: An- und Verkauf von Münzen. Sic transit gloria – so vergeht der Ruhm – steht darunter zu lesen. Klar wird dieses Motto erst, wenn man genauer hinschaut und den unzufriedenen Münzhändler anhand der Initialen V. E. sowie seiner markanten Gesichtszüge als Vittorio Emanuele identifiziert, den dritten König Italiens dieses Namens. Was, so fragt man sich automatisch, steckt hinter dieser Karikatur, die im Juni 1944 anscheinend jeder Leser des Nebelspalters auf den ersten Blick deuten konnte?
Vittorio Emanuele III. regierte Italien vom 29. Juli 1900 bis zum 9. Mai 1946. Eine anspruchsvolle Tätigkeit, von der man meinen möchte, daß sie den Tag eines Mannes voll ausfüllen könnte. Doch Vittorio Emanuele war König nur von Beruf, seine Berufung galt der Numismatik. Jede Minute der königlichen Freizeit wurde dem Aufbau einer Münzsammlung gewidmet. Was ein König von Italien sammelt? Welche Frage, natürlich die Prägungen aller italienischen Münzstätten seit der Völkerwanderungszeit. Ca. 120.000 Stücke soll Vittorio Emanuele zusammengetragen haben. Stolz wies er bei seinen Käufen darauf hin, daß alle Münzen nur aus Mitteln der Privatschatulle bezahlt würden. Daß es sich bei ihnen damit um reines Privateigentum handele, nicht etwa um Familienerbe der Casa Savoya oder gar um staatlichen Besitz.
Um die Jahrhundertwende war das Sammeln von italienischen Münzen noch ein schwieriges Unterfangen, denn so viele Kataloge wie heute gab es damals nicht. Und was tut ein Sammler, wenn er keinen Katalog hat? Richtig, er schreibt selbst einen. Vittorio Emanueles Katalog umfaßte 19 Bände, die heute unter dem Namen „Corpus Nummorum Italicorum“ „das“ unüberholte, immer noch aktuelle Standardwerk zur italienischen Münzprägung sind. Der erste Band erschien im Jahr 1910 in 600 Exemplaren und enthielt – nur um eine Vorstellung zu geben – 532 Seiten mit 5.354 katalogisierten Münzen, von denen immerhin 715 Stücke abgebildet waren. Anläßlich dieser beeindruckenden Leistung wurde der König von der Italienischen Numismatischen Gesellschaft zum Ehrenpräsidenten gemacht. Bis zu seinem Tod gelang es dem königlichen Numismatiker, fast alle italienischen Provinzen aufzuarbeiten, wobei nur die Münzstätte Neapel ab Karl V. unbearbeitet blieb und die Prägungen der Insel Sizilien.
Der italienische König Vittorio Emanule III. und Alfons XIII., König von Spanien.
Daß das Werk soweit gedieh, verwundert jeden, der weiß, wie intensiv Vittorio Emanuele an dem politischen Geschehen in seinem Lande teilnahm. Auch wenn der König mit Mussolini jahrelang zusammenarbeitete, verfolgte er stets eine eigene Politik in Interesse seines Landes und der Casa Savoya. Dies zeigte sich besonders im Frühjahr 1943. Niederlagen hatten Zweifel aufkommen lassen an dem Endsieg der Deutschen, und der italienische König suchte verzweifelt nach Möglichkeiten, einen Sonderfrieden mit den Alliierten zu schließen. Denn er fürchtete, daß die Deutschen bei einem Einfall der Alliierten in Italien die Verteidigung ganz in ihre Hände nehmen würden. Dies hätte bedeutet, daß Italien den Nationalsozialisten völlig ausgeliefert gewesen wäre. Ständige Besuche Görings bei Mussolini in Rom ließen den König darauf schließen, daß die Vorbereitung zur Machtübernahme der Deutschen in Italien fast abgeschlossen seien. Als nun im Mai 1943 nach der deutschen Niederlage in Tunesien die Landung der Alliierten in Italien unmittelbar bevorstand, handelte der König. Er überzeugte führende Politiker des Faschistischen Großen Rates, am 24. Juli 1943 dafür zu stimmen, die Demokratie unter einer konstitutionellen Monarchie wieder einzuführen. Außerdem wurde dem König das Oberkommando über die Armee übertragen. Tags darauf zitierte Vittorio Emanuele Mussolini in seinen Palast, um ihn all seiner Ämter zu entheben. „Mein lieber Duce“, soll der König zum Abschied gesagt haben, „so kann es nicht weitergehen. Italien bricht auseinander. Die Soldaten wollen nicht mehr kämpfen… Momentan sind Sie der meist gehaßte Mann Italiens.“ Lakonisch antwortete Mussolini: „Ich wünsche meinem Nachfolger viel Glück“ und verließ in einem Krankenwagen die Szene.
ITALIEN. Vittorio Emanule III., 1900-1946. 100 Lire 1923, Rom. Aus Auktion Gorny & Mosch 188 (2010), 4198.
Damit hätte die Stunde des Königs anbrechen sollen, doch Hitler ließ sich diese Eigenmächtigkeit einer verbündeten Macht natürlich nicht gefallen. Die deutsche Armee marschierte in Italien ein und bemächtigte sich Roms. Dem König und seiner Familie war es in letzter Sekunde gelungen, sich unter den Schutz der Alliierten zu begeben, mit denen am 3. September 1943 ein Vertrag über die bedingungslose Kapitulation der italienischen Streitkräfte geschlossen worden war.
In den nächsten Monaten sahen sich die italienischen Numismatiker unvermutet den Tücken der deutschen Zensur ausgesetzt. Die Rivista Italiana Numismatica wurde beanstandet. Nun möchte man ja eigentlich nicht vermuten, daß sich in numismatischen Artikeln staatsfeindliche Botschaften verstecken könnten, aber nichts desto trotz bestanden die Zensoren darauf, in dem Nekrolog des Dottore G. G. Belloni die Positionen 77, 84 und 100 seines Werksverzeichnisses zu schwärzen. Warum dies geschah? Der Mann hatte den Corpus Nummorum Italicorum rezensiert und im Titel seiner Rezensionen waren die Worte di S. M. il Re“ (= seiner Majestät des Königs) vorgekommen. Das durfte nicht sein! Der König hatte aus der Numismatik zu verschwinden. Aus dem gleichen Grunde mußte auch die erste Seite der Rivista noch einmal gedruckt werden, denn den Namen des Ehrenpräsidenten Vittorio Emanuele zu nennen, war nicht mehr opportun.
Zum Glück für die italienische Numismatik (und wohl noch mehr für die dortige Bevölkerung) wendete sich das Blatt schnell. Am 4. Juni 1944 gelang es den Alliierten Truppen, Rom zu erobern. Der König hätte nun wieder regieren können, aber er hätte sich zu diesem Zweck vor den Verbündeten rechtfertigen müssen. Dies wollte er nicht mehr. Er ernannte statt seiner seinen Sohn Umberto zum Generalstatthalter. Und auf diese Situation spielt die Karikatur im Nebelspalter an: Sie malte dem lächelnden Betrachter aus, welche Karrieremöglichkeiten dem abgetretenen Monarchen von nun an offen standen.
Im Übrigen war die bedeutende Münzsammlung während der deutschen Besatzung gestohlen worden und blieb noch lange Jahre nach dem Krieg verschollen. Aus dem in der RIN 1949 veröffentlichten Nekrolog von Vittorio Emanuele, der am 28. Dezember 1947 verstarb, ist zu entnehmen, daß man die Sammlung wieder aufgefunden hat, aber in welchem italienischen Museum sie heute verborgen wird, hat die Verfasserin dieses Artikels leider nicht ausfindig machen können. Vielleicht kann hier ein Leser helfen? Vielleicht ist es auch ein lohnendes Unterfangen für den nächsten Italienurlaub, in den großen Münzkabinetten des Landes auf die Suche zu gehen nach der Privatsammlung des Königs, die dieser in einem Brief vom 9. Mai 1946 dem italienischen Staat geschenkt hat.
Wir danken der Zeitschrift „Nebelspalter“ für die Erlaubnis, die Karikatur von 1944 zu veröffentlichen. Wenn Sie mehr über die heute noch existierende Satirezeitschrift erfahren wollen, dann klicken Sie hier.