Der biegsame Weidenbaum
von Ursula Kampmann
Am 29. Januar 2025 wird von Künker eine einzigartige Weidenbaumprägung versteigert. Das 10 Dukaten-Stück zeigt auf der Rückseite einen Weidenbaum im Sturm. Aber was wollte der Prägeherr, Wilhelm V. von Hessen-Kassel, damit zum Ausdruck bringen?
Im Jahr 1627 übernahm Wilhelm V. von Hessen-Kassel die Herrschaft. Sein Vater Moritz hatte sich mehr für Bücher als für die Wirtschaft interessiert und so das Land ruiniert. Der neue Landgraf stand vor einer erdrückenden Schuldenlast, und das zu einem Zeitpunkt, zu dem ein feindliches Heer einen großen Teil seines Gebietes besetzt hielt. Wilhelm sah sich mit einer nicht enden wollenden Fülle von Problemen konfrontiert, die er Stück für Stück zu lösen beabsichtigte, nicht mit Gewalt, sondern mit Verstand und Verhandlungen.
Und genau diese Situation beschreibt das Emblem auf der Rückseite seiner Münzen, ein sich im Sturme biegender Weidenbaum. Diese Darstellung war dem Landgraf von Hessen sehr wichtig. Sie steht für seine Interpretation der Situation. Es handelt sich um ein Emblem, wie sie in der frühen Neuzeit sehr beliebt waren, um eine persönliche Geisteshaltung zu beschreiben.
Wilhelm V. wollte seine Sicht der Dinge unter möglichst vielen Menschen verbreiten. Deshalb kennen wir Weidenbaumprägungen in vielen Nominalen: Als Taler, Mehrfachtaler und Talerteilstücke, als Dukaten, Mehrfachdukaten und Gulden.
Das 10 Dukatenstück, das am 29. Januar 2025 von Künker in der Auktion 418 angeboten wird, war unediert, ehe es erstmals für Künker Auktion 279 vom 23. Juni 2016 katalogisiert wurde. Inzwischen findet man diese Goldmünze im „Friedberg“, aber es handelt sich immer noch um das einzige bekannte Exemplar in Privathand.
Was ist ein Emblem?
Unter einem Emblem verstand man in der frühen Neuzeit eine Art Bilderrätsel, das nur der gebildete Mann auflösen konnte. Motto und Bild gehörten immer mit einem deutenden Gedicht zusammen, wobei das Gedicht auf Münzen meistens aus Platzmangel wegfiel, so dass der Betrachter all sein Wissen aufwenden musste, um eine Darstellung zu deuten.
Ein gebildeter Zeitgenosse Wilhelms hätte sich bei der Darstellung sofort an ein Emblem erinnert, das unter dem Motto „Siege durch Nachgeben“ in dem Buch von Adrian de Jonge aus dem Jahr 1565 veröffentlicht worden war. Dort zeigt ein Bild einen vom Sturm zerbrochenen Baum, während das unbedeutende Röhricht daneben sich biegt und so dem Wind Widerstand leistet. Die Erklärung dazu ist in lateinischer Sprache verfasst und lautet in Übersetzung: „Die Gewalt des Boreas wirft im furchtbaren Wirbel die sich entgegenstemmenden Eichen nieder; das Schilfrohr dagegen steht ungebrochen und verachtet ihn. Der geduldige Sinn siegt, indem er dem Wüten ausweicht.“
Wilhelm hatte dieses Emblem nicht einfach übernommen, sondern für seine Zwecke abgeändert. Mit einem Schilfrohr wollte er nämlich nicht assoziiert werden. Schließlich steht diese Pflanze im Alten und Neuen Testament für den Abfall vom Glauben und das war für einen frommen Kalvinisten ein absolutes No-go. Wilhelm V. brauchte also eine andere Pflanze, die positiv besetzt war und sich gleichzeitig im Winde biegen konnte. Da lag es im 17. Jahrhundert nahe, an die Weide zu denken.
Die Weide war zu Beginn der frühen Neuzeit ein weit verbreiteter Nutzbaum, dessen Stamm jedes Jahr aufs Neue Weidenruten hervorbrachte. Sie spielten in einer Welt, in der es noch kein Plastik gab und Stricke teuer waren, eine wichtige Rolle. Mit Weidenruten wurden Körbe geflochten, Zäune gebaut, Pflanzen an Rankstützen gebunden. Weidengeflecht kam sogar als Gerüst beim Fachwerkbau zum Einsatz. Die fruchtbare und vielfach verwendbare Weide war also eine Pflanze, mit der sich ein Kalvinist gerne assoziierte.
Wilhelm V. tauschte nicht nur den Baum aus, sondern bereicherte das Bild durch einen Hinweis auf Gott, dessen Name in der Sonne auftaucht. So stellt er sich unter Gottes Schutz und unterstreicht das mit dem neuen (lateinischen) Motto: Mit Gottes Willen werde ich Niedriger erhöht werden. Wilhelm V. zeigte sich so als demütiger Kalvinist, dem Gott die Kraft verleiht, sich zu beugen und damit dem Ungemacht Stand zu halten.
Es ist gelegentlich behauptet worden, dass der Stempelschneider sich nicht mit Palmen ausgekannt habe, und deshalb eine Weide statt eines Palmbaums geschaffen habe. Nichts könnte der frühneuzeitlichen Arbeitsweise ferner liegen: Jeder Künstler hatte seine Lexika, seine Musterbücher, die er konsultierte, wenn er ein neues Münzbild gestalten musste. Wenn ihm nicht sowieso ein gebildeter Auftraggeber diese Arbeit abnahm. Münzbilder waren Chefsache. Hier konnte ein Fürst seine Bildung demonstrieren. Und Wilhelm V. war hochgebildet. Er war ein Mitglied der fruchtbringenden Gesellschaft, der ersten deutschen Gelehrten-Akademie nach italienischem Muster, der zahlreiche Adlige angehörten.
Wenn es überhaupt einen Beweis bräuchte, dass die Künstler zu dieser Zeit durchaus Palmen abzubilden wussten, dann würde uns ihn der Schild dieser Gesellschaft liefern. Es handelt sich übrigens um noch ein Emblem. Das Motto lautet: Alles zu Nutzen. Abgebildet ist eine Kokospalme, die auch heute noch dafür bekannt ist, dass sie komplett verwenden kann. Das an anderer Stelle erhaltene Sinngedicht dazu lautete: „Der Name Fruchtbringend darum, damit ein jeder, der sich hinein begibt oder zu begeben gewillt ist, äußerst bemüht sein soll, …Früchte zu tragen.“
Wenn man Münzen der frühen Neuzeit betrachtet, muss man eine uns heute unbekannte Sprache neu erlernen. Es gilt die alte Kunst der Emblematik wieder zu entdecken. Glücklicherweise sind uns die Wörterbücher dieser Sprache erhalten und in modernen Ausgaben mit ausführlichen Indices bestens erschlossen. Es lohnt sich, darin zu blättern, um Bilder zu deuten, die ein gebildeter Menschen der frühen Neuzeit spielend verstand.