Clémentine d’Orléans: Beeindruckende Frau und Münzsammlerin
von Ursula Kampmann im Auftrag von Künker
Nur wenige Frauen haben die Geschichte Europas im 19. Jahrhundert so entscheidend geprägt wie Clémentine d’Orléans, und doch wurde ihr Leben erst 2007 mit einer eigenen Biographie gewürdigt. Künker freut sich darüber, eine Münzsammlung anzubieten, die aus dem Besitz dieser Frau stammt.
Inhalt
Am 3. Juni des Jahres 1817 gebar Marie Amalie von Neapel-Sizilien ihrem Gemahl Louis Philippe, Herzog von Orléans, das mittlerweile sechste von insgesamt zehn Kindern: eine Tochter, die auf den stolzen Namen Marie Clémentine Léopoldine Caroline Clotilde getauft wurde. Louis Philippe war damals alles andere als ein Anwärter auf den Thron. Er diente im französischen Heer als General und war ein loyaler Unterstützer der zurückgekehrten Bourbonen Louis XVIII. und Charles X.
Allerdings blieb da ein wenig Unbehagen, denn der Vater von Louis Philippe hatte als begeisterter Aufklärer unter dem Namen Philippe Égalité die Französische Revolution unterstützt. Zwar war auch er während des Terrorregimes auf der Guillotine gestorben, hatte seinen Sohn jedoch gemäß der Ideale eines neuen, aufgeklärten und wirtschaftlich starken Bürgertums erzogen. Vielleicht verstand Louis Philippe deshalb die Zeichen der Zeit so gut zu lesen. Er bereiste England, die USA und diskutierte mit (für damalige Zeiten) fortschrittlichen Politikern wie George Washington oder Alexander Hamilton. Er hatte aber auch beste Verbindungen zu den bedeutenden Bankhäusern der Rothschild oder Laffitte.
Denn Louis Philippe wusste mit Geld umzugehen, auch mit seinem eigenen. Er bediente sich modernster Anlagemethoden, um den gewaltigen Familienbesitz zu vermehren. Louis Philippe gehörte schon vor seiner Thronbesteigung zu den reichsten Bürgern von Frankreich. Bereits im Jahr 1821 wurde sein Vermögen auf rund 8 Mio. Francs geschätzt. Es sollte noch wesentlich mehr werden.
Eine moderne Erziehung für die Kinder
Louis Philippe teilte auch die Erziehungsideale des französischen Bürgertums. Ein liebevolles Familienleben mit viel Kontakt zwischen Eltern und Kindern war für ihn selbstverständlich. Clémentine – oder Titine, wie sie ihre Geschwister liebevoll nannten – erlebte eine fast normale Jugend: Man speiste und feierte en famille; man fuhr gemeinsam aufs Land, wo Titine zusammen mit ihren Geschwistern im Park tobte und im Teich schwamm.
Selbstverständlich erhielt die große Kinderschar auch eine hervorragende Bildung. Für die Mädchen bedeutete das ein Heer von Gouvernanten und Hauslehrern, die sie im Sticken und Tanzen, in Etikette und Konversation unterrichteten. Nicht zu vergessen, das unvermeidliche Musikinstrument, das jedes Mädchen beherrschen musste (in Clémentines Fall die Harfe). Dazu kamen diverse Sprachen und der Religionsunterricht, den die Mama persönlich erteilte. Auch der Papa betätigte sich als Pädagoge. Immerhin hatte er Erfahrung: Er hatte während des Exils Französischunterricht erteilt, um das Geld zum Überleben zu verdienen. Louis Philippe hielt den Geschichts- und Geographieunterricht seiner Kinder anhand von Memorabilien aus dem Familienbesitz. Abschluss der Ausbildung war für Clémentine die damals eher für junge Männer übliche Grand Tour. So reiste sie in die Schweizer Berge und sah die Wunder Italiens.
Ob Clémentine schon zu diesem Zeitpunkt begann, sich für Münzen zu interessieren? Das können wir nicht nachvollziehen. Immerhin wissen wir, dass nicht nur Clémentine sich mit Numismatik beschäftigte. Mehrere bedeutende Sammler gehören zu ihrem engsten familiären Umkreis. Am bekanntesten ist heute Henri, Herzog von Aumale, der eine so umfangreiche Sammlung von Bildern und Kunstobjekten zusammentrug, dass seine Münzsammlung in Vergessenheit geriet. Aber auch Clémentines ältester Sohn Philipp gehört zu den ambitionierten Numismatikern. Er publizierte zur orientalischen Numismatik, und seine Sammlung wurde 1928 durch die Firma Leo Hamburger in Frankfurt versteigert.
Es ist eine Binsenweisheit, dass es im 19. Jahrhundert für einen gebildeten Mann zum guten Ton gehörte, wenigstens ein paar Münzen zu sammeln. Für Frauen war das eher ungewöhnlich. Das mag nicht nur am mangelnden Interesse gelegen haben. Häufiger fehlte es ihnen schlichtweg an den Mitteln, um Münzen kaufen zu können. Das war bei Clémentine anders. Sie besaß eines der größten Vermögen Europas.
Alter Adel und junges Kapital
Clémentine hatte nämlich von ihrem Vater gelernt, wie man mit Geld umgeht. Wie man es investiert, vermehrt und dann einsetzt, um seine politischen Ziele zu erreichen. Darin war ihr Vater Louis Philippe schließlich ein Meister.
Erinnern wir uns: Als Charles X. am 28. Juli 1830 von einer bürgerlichen Revolution gestürzt wurde, wagten es die Aufständischen nicht, Europa mit einer neuen Republik zu konfrontieren. Stattdessen wählte(!) das Parlament einen Kompromisskönig, der bürgerliche Ideale vertrat, aber genügen royales Flair mitbrachte, um als König zu funktionieren. Das war Clémentines Papa, Louis Philippe.
Was das implizierte, illustriert ein vernichtendes Bonmot des Hohenzollern Friedrich Wilhelm IV., als er sich 18 Jahre später in einer sehr ähnlichen Situation gegen die Annahme der deutschen Kaiserwürde aussprach: „Jeder deutsche Edelmann, der ein Kreuz oder einen Strich im Wappen führt, ist hundertmal zu gut dazu, um solch ein Diadem aus Dreck und Letten der Revolution, des Treubruchs und des Hochverrats geschmiedet, anzunehmen.“
Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen und überlegen, wie der alte Hochadel zu den Kindern eines Königs stand, der genau das getan hatte. In der Vergangenheit hatten die Söhne und Töchter der französischen Könige die erbberechtigten Söhne und Töchter der bedeutendsten Königshäuser Europas geehelicht. Louis Philippe blieb nichts anderes übrig, als bei den Heiratsplänen für seinen Nachwuchs erhebliche Abstriche zu machen. Von den Töchtern des Bürgerkönigs wurde nur eine einzige zur Königin. Und selbst die heiratete Leopold I., der selbst durch die Revolution von 1830 auf den Thron von Belgien geschwemmt worden war.
Clémentine, die ehrgeizig war und nicht dem Schönheitsideal ihrer Zeit entsprach, brauchte besonders lange, bis sie den passenden Gemahl fand. Sie heiratete erst 1843 im für die damalige Zeit reifen Alter von 26 Jahren.
Eine der reichsten Frauen Europas
Sie wählte den etwas jüngeren Herzog August von Sachsen-Coburg-Koháry zum Ehemann. Er gehörte väterlicherseits zum bestvernetzten Adelshaus, mütterlicherseits hatte er immensen Reichtum zu erwarten. Das hatte Potential, wenn vielleicht nicht für Clémentine selbst, so doch für ihre Nachkommen.
Ob es noch ein anderer Aspekt war, der Clémentine diese Ehe attraktiv erscheinen ließ? Wir können es nur erahnen, wenn ihre Mutter kurz nach der Hochzeit in einem Brief schreibt: „Il – gemeint ist der Bräutigam – dit toujours Amen à tout ce qu’elle veut.“ (= Er sagt zu allem Amen, was sie will.).
August ließ Clémentine freie Hand, den familiären Besitz zu verwalten und zu vermehren. Ihre Mitgift hatte eine Million Francs betragen. Dazu kamen ihre Aussteuer und Hochzeitsgeschenke, insgesamt ein Wert von 300.000 Francs. Ihr Ehemann bekam 100.000 Francs Apanage pro Jahr, sie selbst 50.000 Francs. Das war viel Geld, aber bei weitem kein großes Vermögen. Aber dank kluger Investitionen machte Clémentine eines daraus.
Wir müssen uns das praktisch vorstellen: Dank ihrer Verwandtschaft mit vielen führenden Familien Europas konnte sich Clémentine die besten Insiderinformationen besorgen. Sie dürfte ihr überlegenes Wissen gnadenlos auf dem Aktienmarkt eingesetzt haben und riesige Summen eingestrichen haben.
1861 starb die Mutter von Clémentines Ehemann August. Er erbte den Löwenanteil ihres Besitzes. Dazu gehörten Güter, Wälder, Bergwerke und Fabriken auf mehr als 150.000 Hektar in Niederösterreich, Ungarn und der heutigen Slowakei. Und das katapultierte Clémentine finanziell noch einmal in eine ganz andere Liga.
Der Aufstieg der Familie Sachsen-Coburg-Koháry
Damit gehörte Clémentine zu den reichsten, bestvernetzten, intelligentesten und besterzogenen Frauen Europas. Und sie nutzte all die Fähigkeiten, um ihre Kinder in die Positionen zu bringen, die ihnen Aussicht auf die Herrschaft über Europa boten. Clémentine hatte gelernt, dass es inzwischen beim Ende einer Dynastie nicht mehr die Herrscher waren, die unter sich ausklügelten, wer König werden sollte. Diese Aufgabe hatten im 19. Jahrhundert die Bürger der neu entstehenden Nationalstaaten übernommen. Sie kontaktierten potentielle Kandidaten, hörten sich an, was sie ihnen boten und entschieden sich für denjenigen, der die besten diplomatischen Verbindungen und die meisten Investitionen in die Infrastruktur versprach. Und über Geld verfügte die Familie Sachsen-Coburg-Koháry im Übermaß. Es galt also, die Söhne in geeigneten Ehen unterzubringen, um sie als potentielle Thronkandidaten zu positionieren.
Plötzlich wird klar, warum der älteste Sohn Philippe die älteste Tochter von König Leopold II. von Belgien heiratete. Der hatte keinen männlichen Erben, so dass sich nach seinem Tod die Thronfrage stellen würde. Allerdings kam es nie dazu. Die Ehe von Philipp und Louise war extrem unglücklich. Sie wurde 1906 geschieden, drei Jahre vor dem Tod Leopolds.
Ähnlich erging es dem zweitältesten Sohn Ludwig August. Er heiratete Leopoldina von Brasilien, deren Vater Dom Pedro II. ebenfalls keinen männlichen Erben hatte. Doch in diesem Fall vertrieb ein Militärputsch den kaiserlichen Schwiegervater von seinem Thron.
Der große Wurf gelang erst mit dem jüngsten Sohn Ferdinand I., und dafür war nicht einmal eine Heirat nötig. Die Bulgaren klopften an, ob Ferdinand nicht den Thron übernehmen wolle. Wir wissen nicht, welche Versprechungen sie erhielten. Aber wir wissen, dass das Vermögen von Clémentine entscheidend für den Ausbau des bulgarischen Eisenbahnnetzes war. Wir haben darüber letztes Jahr ausführlich in unserem Artikel über Zar Ferdinand I. und die Eisenbahn berichtet.
Münzsammeln: Eine sinnvolle Beschäftigung für den Ruhestand
Clémentine kam am 3. Juni 1817 zur Welt. Sie starb am 16. Februar 1907 in Wien und wurde damit beeindruckende 89 Jahre alt. Wie viele Menschen, die ein erfülltes Leben geführt haben, suchte sie sich auch im Alter interessante Beschäftigungen, um sich zu zerstreuen. Eine davon war das Münzsammeln. Das Haus Künker ist stolz darauf, in Auktion 416 die Münzsammlung dieser interessierten und gebildeten Fürstin als Ensemble unter der Losnummer 2166 anbieten zu können.
Die Sammlung umfasst rund 300 Münzen der Antike, von der griechischen bis zur byzantinischen Zeit. Unter den griechischen Münzen liegt der Schwerpunkt – wie zu erwarten – auf den bekannteren Münztypen, also Münzen der Stadt Athen und der makedonischen Herrscher Philipp II. und Alexander. Die keltischen Prägungen sind zumeist Imitationen des Münztyps von Thasos sowie der Alexandreier. Dazu kommen zahlreiche römische Münzen, hauptsächlich Denare und Bronzemünzen aus der Republik, der Kaiserzeit und vor allem dem 3. Jahrhundert und 4. Jahrhundert. Es gibt auch einige Goldmünzen, vor allem aus der spätrömischen Epoche. Ferner setzte Clémentine einen Schwerpunkt auf die byzantinische Numismatik. Sie bestimmte ihre Münzen sorgfältig mit dem Katalog von J. Sabatier, Description Générale des Monnaies Byzantines, der noch bis in die 1970er Jahre als Standardreferenz galt.
Clémentine verfasste wahrscheinlich selbst die kleinen Zettelchen, die sie ihren Münzen beigab. Ein – zugegebenermaßen oberflächlicher Schriftvergleich mit früheren Briefen – weist darauf hin, dass die Zettelchen aus der Hand Clémentines stammen, allerdings mit wesentlich mehr Sorgfalt und langsamer geschrieben wurden als die Briefe.
Clémentine beschrieb die Münzen nach dem damals üblichen Standard inklusive der vollständigen Legenden von Vorder- und Rückseite. Sie suchte ein Zitat und nannte einen Preis in Francs (den Ankaufspreis? eine Schätzung? den Versicherungswert?).
Durch die Zitate haben wir einen zeitlichen Anhaltspunkt, wann sie sich vor allem mit ihrer Sammlung beschäftigte. Die auf den Zettelchen genannten Publikationen datieren vom Ende des 19. Jahrhunderts; Clémentine dürfte sich also erst am Ende ihres Lebens ihrer Sammlung gewidmet haben, wozu auch die übersorgfältige Handschrift einer alten Frau passen würde. Die genannten Auktionen sind übrigens wahrscheinlich eher als Zitat, nicht als Provenienz zu verstehen.
Anscheinend besaß die Herzogin zwar das Werk von Sabatier, aber nicht den damals wichtigsten Katalog zur römischen Münzprägung, verfasst von Henry Cohen in den Jahren 1859 bis 1868, der seit 1880 auch in einer zweiten Auflage vorlag. Die römischen Münzen scheinen Clémentine also nicht so interessiert zu haben wie die byzantinischen. Sonst hätte sie sich sicher das Werk besorgen lassen. Sie dürfte die Beschäftigung mit den Münzen eher als historische Zerstreuung angesehen haben, die ihr wohl so manche lange Stunde ihres Alters verkürzte.
Wundern Sie sich bitte nicht darüber, dass Clémentine trotz ihres Reichtums Münzen erwarb, die wir heute nicht mehr für attraktiv halten. Wie damals üblich, verstand die Sammlerin ihre Münzen nicht als Wertanlage, sondern als historische Zeugnisse. Die Erhaltung spielte deshalb keine Rolle, solange Porträt und Schrift gut zu erkennen waren. Selbst gelochte Münzen und Münzen mit einem Graffiti passten in das Sammlungskonzept, erzählten sie doch davon, wie viele Menschen diese Prägung bereits in ihren Händen gehalten haben.
Noch mit einer weiteren modernen Sehgewohnheit müssen Sie für diese Sammlung brechen: Ganz Kind ihrer Zeit war für Clémentine selbstverständlich der Kopf bzw. die Abbildung des Herrschers die Vorderseite einer Münze. Während wir heute Vorder- und Rückseite technisch interpretieren – der Vorderseitenstempel befindet sich eingelassen im Amboss, der Rückseitenstempel wird eingeprägt –, beschreibt Clémentine ihre byzantinischen Münzen so, dass immer das Bild des Kaisers die Vorderseite anzeigt.
Es ist ein großer Glücksfall, dass diese Sammlung so intakt auf uns gekommen ist. Wir haben uns deshalb entschieden, sie so intakt zu belassen und als Ensemble anzubieten. Schließlich ist diese Sammlung ein wunderbares Beispiel für eine typische Münzsammlung des 19. Jahrhunderts. Sie verdient, genau wie die Sammlungstätigkeit der Fürstin eine ausführliche wissenschaftliche Publikation. Wir würden uns freuen, wenn die Sammlung einen Käufer fände, der diese Publikation vornimmt.
Literatur
- Olivier Defrance, La Médicis des Cobourg: Clémentine d’Orléans (2007)