Aquileia: Zentrum im spätrömischen Reich
von Ursula Kampmann
Aquileia ist heute eine kleine Gemeinde mit etwas mehr als 3.000 Einwohnern. Seinen Status als Stadt würde es damit eigentlich nicht verdienen. Doch Aquileia blickt auf eine beeindruckende Vergangenheit zurück. Einst wurde hier Weltpolitik gemacht. Denn Aquileia war im 4. Jahrhundert n. Chr. eine der Hauptstädte des römischen Reichs. Hier verbrachte Maximianus Herculius einen Großteil seiner Zeit. Hier wurden die Münzen geprägt, mit denen man die Soldaten zahlte, die an der Donau die germanischen Stämme abwehrten. Hier lebten und arbeiteten – je nach Schätzung – bis zu 100.000 Einwohner.
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Aquileia – ungefähr auf halber Strecke zwischen Venedig und Triest gelegen – ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Man sollte allerdings besser nicht im Sommer kommen, wenn Tausende von Bildungshungrigen Touristen aus dem benachbarte Grado einfallen. Dann wird das stille Städtchen, das man sich im Frühjahr mit ein, zwei italienischen Schulklassen und einer Hand voll Individualtouristen teilt, zu einer Außenstelle des venezianischen Markusplatzes – inklusive Ticketkontingentierung an den Wochenenden.
Wir waren kurz vor Ostern in Aquileia und haben die Ruhe dort genossen. Nicht zu vergessen die unaufdringliche Freundlichkeit des Aufsichtspersonals, das es sich zu einer persönlichen Aufgabe machte, uns auch noch den letzten Mosaikstein zugänglich zu machen.
Ein Blick auf die Geschichte von Aquileia
Die Gegend um Aquileia war ursprünglich von keltischen Bewohnern besiedelt. Das erzählt uns Livius. Sie fielen dem Ehrgeiz des römischen Consuls Marcus Claudius Marcellus zum Opfer. Der suchte eine Alternative zu einem Krieg mit den Makedoniern, nachdem ihm die Volksversammlung verboten hatte, den mit dem makedonischen Herrscherhaus geschlossenen Friedensvertrag zu brechen. Marcellus bekämpfte also ersatzweise die Kelten der Gallia Cisalpina und tötete dabei genug Feinde, um einen Triumphzug zu rechtfertigen.
Damit war im italienischen Alpenvorland ein Machtvakuum entstanden, das der Senat durch die Ansiedlung von 3.000 Veteranen in Aquileia füllen wollte.
Er schuf mit dieser Kolonie einen strategisch gelegenen Stützpunkt, der immer wieder für Feldzüge nach Norden oder in den Osten genutzt werden konnte. Denn Aquileia lag gleich an mehreren Straßen. Da gab es natürlich die Via Flaminia, die von Rom über das heutige Rimini in Richtung Norden führte und seit Augustus mit der Via Iulia Augusta ins Noricum verlängert wurde. In Aquileia kreuzte die Via Postumia, die von Genua über Cremona und die erste Brücke über die Etsch weiter in den Osten führte. Doch Aquileia verfügte nicht nur über ausgezeichnete Landwege. Es besaß auch einen Flusshafen, über den die quirlige Handels- und Handwerksstatt mit allen Städten des Mittelmeeres verbunden war. Aquileia entwickelte sich, vor allem nach dem Bau eines zweiten Kanals, zum wichtigsten Hafen der Adria.
Augustus trug der Bedeutung von Aquileia Rechnung, indem er die Stadt zum Hauptort der Regio X Venetia et Histria machte. Damit konzentrierte sich in Aquileia die zivile und militärische Verwaltung von Venezien und dem heutigen Istrien.
Weltgeschichte – zumindest nach römischen Maßstäben – wurde erstmals in Aquileia geschrieben, als sich die Stadt dem Senat unterstellte und dem Kaiser Maximinus Thrax, ihre Stadttore verschloss. Der belagerte Aquileia und wurde im April 238 von den eigenen Truppen ermordet.
Immer wieder machte seine strategische Lage Aquileia zum umstrittenen Zankapfel. Deshalb ist es nicht überraschend, dass Maximianus Herculius diese Stadt auswählte, um hier eines seiner Hauptquartiere aufzuschlagen. Dass dazu auch eine Münzstätte gehörte, ist nachvollziehbar.
Münzstätte Aquileia
Obwohl sich viel Römisches in Aquileia erhalten hat und besichtigt werden kann, gibt es keine archäologischen Spuren einer Münzstätte. Das numismatische Erbe der Stadt, das in Sammlungen weltweit besichtigt werden kann, ist dagegen reichlich.
Eingerichtet wurde die Münzstätte 295/6, also kurz nachdem Diocletian das Geldwesen neu geordnet hatte. Fortan führte sie die Buchstaben AQ als Münzstättenzeichen. Hier wurde hauptsächlich Bronze geprägt, aber auch Gold und Silber, je nach Bedarf. Drei Offizinen waren tätig, um den Bargeldbedarf in Italien und auf dem Balkan zu decken. Vor allem die Truppen, die an der Donau stationiert waren, erhielten ihren Lohn in Münzen, die in Aquileia geprägt wurden. 324 wurde die Münzstätte für 10 Jahre geschlossen. Als sie wieder öffnete, war der Betrieb auf zwei Offizinen reduziert. 425 wurde die Münzstätte geschlossen. Die Münztechniker wurden nach Ravenna verbracht.
Das große und äußerst sehenswerte archäologische Museum von Aquileia – MAN für Museo Archeologico Nazionale Aquileia – hat der umfassenden Münzprägung der Stadt einen halben Raum gewidmet. Die Ausstellung lohnt sich. Sie enthält eine systematische Darstellung der römischen Münzstätte mit einem Schwerpunkt auf Prägungen aus Aquileia sowie einige Hortfunde.
Übrigens, wenn Sie etwas für Gemmen übrig haben: Das Museum verfügt über eine exquisite und hervorragend präsentierte Sammlung, die sie auf keinen Fall verpassen sollten, auch wenn Sie dafür bis in den 2. Stock steigen müssen.
Aquileia: Zentrum der Bernsteinschnitzerei
Bei den Gemmen handelt es sich nicht, wie zu erwarten, um eine Sammlung, sondern um Stücke, die in Aquileia und Umgebung gefunden wurden. Die Häufung erklärt sich daraus, dass Aquileia ein Zentrum der italienischen Schmuckproduktion war. Übrigens nicht nur für Gemmen. Aquileia galt – und das überliefert uns Plinius der Ältere in seiner Naturgeschichte sogar schriftlich – als „das“ Zentrum der Bernsteinschnitzerei. Hier wurde das von der baltischen Küste nach Italien transportierte Rohmaterial Objekten verarbeitet, von denen viele als Grabbeigaben der Erde anvertraut wurden.
Die Glasproduktion von Aquileia
Dazu war Aquileia für seine Glasproduktion berühmt. Auch wenn Historiker heute behaupten, dass das benachbarte Murano seine Kenntnis der Glasproduktion aus dem Nahen Osten bezog, ist in meinen Augen eine andere Theorie verführerisch. Schließlich wurden die Glasbläser von Aquileia durch die Völkerwanderung aus ihrer alten Heimat vertrieben und siedelten sich auch in der Lagune von Venedig an. Vielleicht bewahrten einige Familien das Wissen um die Kunst der Glasbläserei, ehe die aufstrebende Wirtschaft des Hochmittelalters diese Luxusware wieder zu einer im ganzen Mittelmeerraum vertriebenen Spezialität Venedigs machte.
Norisches Eisen verarbeitet in Aquileia
Noch für ein weiteres Handwerk war Aquileia berühmt. Hier wurde das von den Römern hoch geschätzte norische Eisen zu den Waffen verarbeitet, die das römische Heer gegen seine Feinde erhob. Die Qualität des Materials war geradezu sprichwörtlich, wie wir von Ovid wissen. Er vergleicht das Herz der edlen Anaxarete Eisen und Stahl, in der norischen Esse geschmolzen (Ovid, Metamorphosen XIV, 712).
Der Flusshafen
Exportiert wurden all diese Gegenstände per Schiff. Immerhin verfügte die Stadt gleich über zwei Häfen. Seit republikanischer Zeit war die im Sumpfland gelegene Kolonie über den kanalisierten Fluss Natissa mit der Adria verbunden. Ende des 3. Jahrhunderts n. Chr. bauten die Stadtväter einen weiteren Kanal. Damit verfügte die Stadt über einen Ost- und einen Westhafen und wurde so, obwohl sie weit im Landesinneren lag, zum wichtigsten Handelshafen.
Luxusgüter aus Ägypten und Syrien in Aquileia
Aquileia wurde so zu einem zentralen Handelsplatz für Luxusgüter aus dem Osten, von dem viele heute im archäologischen Museum zu besichtigen sind.
Die große Basilika
Aber sind wir uns ehrlich: All die Touristen kommen nicht wirklich wegen der Münzstätte, des Flusshafens oder des wirklich hervorragenden archäologischen Museums nach Aquileia. Sie ziehen eine andere Sehenswürdigkeit vor, und zwar die Kirche des Patriarchen von Aquileia. Das besondere daran: Archäologische Funde zeigen, dass der Bau wahrscheinlich direkt nach der Aufhebung aller Verbote gegen die Christen durch Galerius begann. Damit ist die Basilika eine der nachgewiesenermaßen ältesten Kirchen der Welt.
Sie erinnern sich sicher: 303 verhängten die Tetrarchen ein umfassendes Edikt gegen die Christen. Es enthielt u. a. das Verbot des christlichen Gottesdienstes und die Zerstörung aller christlicher Kirchen. Dieses Edikt hob Galerius im Jahr 311 auf.
Wohl unmittelbar danach begann Theodor, Patriarch von Aquileia in den Jahren 312 bis 323 mit dem Bau einer repräsentativen Basilika, deren Mosaikschmuck bis heute in wesentlichen Teilen vorhanden ist.
Besonders reizvoll ist die Tatsache, dass die Financiers dieser Mosaikarbeiten im Mosaik namentlich benannt werden und zwar zusammen mit der Fläche, deren Herstellung sie finanzierten.
Es ist für jeden Besucher ein Erlebnis, Bauten, deren Geschichte bis in die spätrömische Epoche zurückreicht, aufrecht stehen zu sehen, weil spätere Generationen immer wieder das römische Erbe pflegten und weiter daran bauten: Von der Taufkapelle aus dem 5. Jahrhundert bis hin zur Krypta, die in karolingischer Zeit entstand und im 12. Jahrhundert mit Fresken ausgestattet wurde.
Die Kirche selbst wurde im 11. Jahrhundert erbaut, und zwar nach dem Vorbild der Michaeliskirche von Hildesheim. Patriarch Poppo hatte nämlich ein gutes Verhältnis zum deutschen Kaiser, vielleicht war er sogar verwandt mit Heinrich II. Nach dessen Tod unterstützte ihn jedenfalls auch Nachfolger Konrad II. Ihm verdankt Aquileia sein Münzrecht, von dem erst die nachfolgenden Patriarchen reichlich Gebrauch gemacht haben. Den Höhepunkt seiner Macht erreichte das mittelalterliche Patriarchat von Aquileia unter Berthold von Meranien, der seinen Amtssitz allerdings von Aquileia nach Udine verlegte.
Das Glück des Niedergangs
Danach tat sich nicht mehr viel in Aquileia. Die Wege der Weltwirtschaft hatten sich verlagert, und das Sumpfgebiet im Hinterland der Lagune von Grado war mit seinen Krankheiten kein Platz, an dem sich die Menschen gerne aufhielten.
Das änderte sich erst im 19. Jahrhundert, als der Tourismus die italienischen Strände entdeckte. Aquileia gehörte zu Görz und damit zur k. u. k. Monarchie. Die baute für ihre Bürger sogar eine Eisenbahn bis nach Aquileia, so dass seit 1910 die Sonnenhungrigen Touristen direkt von Wien nach Aquileia und von dort weiter mit der Fähre nach Grado fahren konnten. Die Ruinen des alten Patriarchensitzes entwickelten sich zu einer veritablen Attraktion und wurden dementsprechend geschützt.
Seit 1998 gehört Aquileia zum UNESCO-Weltkulturerbe. Betreut wird das historische Erbe von der Fondazione Aquileia, die alle Sehenswürdigkeiten der Stadt koordiniert und zugänglich macht. Der sorgfältige Besucher hat durchaus anderthalb Tage zu tun, um alles zu besichtigen. Planen Sie also ausreichend Zeit ein, wenn Sie die Möglichkeit haben, Aquileia einen Besuch abzustatten.