Die Geschichte und Münzprägung Lykiens
von Johannes Nollé
Lykien ist die westlichste und zugleich auch die faszinierendste Landschaft des südlichen Kleinasiens. Es handelt sich um eine Halbinsel, die sich in das östliche Mittelmeer vorschiebt und vom Lykischen Meer im Westen und vom Pamphylischen Meer im Osten umrahmt wird.
Inhalt
Von dem in West-Ost-Richtung verlaufenden Zug des Taurusgebirges schieben sich drei bis über 3000 m Höhe aufsteigende Gebirgsketten südwärts in die lykische Halbinsel hinein: Im Westen ist es das Kragosgebirge (Baba Dağ), in der Mitte die doppelsträngige Kette des Massikytos-Gebirges (Ak Dağlar und Bey Dağları) und im Westen das Solymos-Gebirge (Tahtalı Dağ). Diese Gebirge werden von vier Flusstälern in Nord-Süd-Richtung durchschnitten: das größte dieser Täler ist das des Xanthos (Esen Çay) im Westen. In der Mitte schneiden sich der Myros (Demre Çayı) und der Arykandos (Başgöz Çay) in das Massikytos-Gebirge ein. Im Osten fließen der Alakir Çay, dessen antiker Name bis heute nicht bekannt ist, und der Limyros (Göksu). Mit vollem Recht kann man Lykien aus geographischer Sicht als die Schweiz der Türkei bezeichnen.
Lykien ist genauso gebirgig und gleichermaßen in ganz unterschiedliche, voneinander separierte Regionen zersplittert wie die Schweiz. Der einzige Unterschied besteht darin, dass Lykien an drei Seiten vom Meer umgeben ist. Und das macht Lykien in einem Schönheitswettbewerb zu einem ernsthaften Konkurrenten der Schweiz.
Das Land der Dynasten
Lykien war bis 360 v. Chr., als die Perser es dem karischen Satrapen Mausollos unterstellten, von einheimischen Machthabern (Dynasten) beherrscht, die kleinere oder größere Territorien besaßen. Die landschaftliche Zersplitterung Lykiens trug auch zu seiner politisch-administrativen Zersplitterung bei. Die Dynasten residierten in Burgen, um die sich Siedlungen gebildet hatten, die manchmal größer als Dörfer waren und Stadtcharakter besaßen. Die Existenz herrschender Dynasten wird durch großartige Grabbauten und auch Inschriften bezeugt, unter anderem durch Pfeilergräber. Es ist nicht überraschend, dass die prächtigsten Grabbauten von Dynasten in den beiden Zentren der Dynastenzeit, in Xanthos und Limyra, entdeckt wurden.
Unter persischer Herrschaft und griechischem Einfluss
Um 540 v. Chr. brachten die Perser Lykien unter ihre Oberherrschaft. Sie begnügten sich damit, dass die einheimischen Potentaten Tribute und im Bedarfsfall Heeresfolge leisteten, und überließen ansonsten das Land weitgehend der Verwaltung der autochthonen Machthaber. Um 520 v. Chr. begannen die Dynasten, eigene Münzen nach griechischem Vorbild zu prägen. Der Einfluss von Phaselis dürfte dabei eine Rolle gespielt haben. Die Rückseiten dieser frühesten lykischen Münzen sind noch als Incusum gestaltet. Auf den Vorderseiten erscheinen vor allem die Vorderteile von Wildschweinen. Bei der Wahl dieses Motivs ist daran zu denken, dass der Eber auch auf griechischen Münzen ein beliebtes Motiv war. Auf den frühen Münzen von Phaselis scheint er als Bugsporn eines phaselitischen Schiffes auf. Hinzu kommt aber, dass das reiche Vorkommen von Wildschweinen in Lykien diesem Münzbild eine Verankerung in der lykischen Welt verlieh. Da Wildschweine die stärksten Schädiger der Landwirtschaft waren, die Äcker und Weinberge vernichteten, waren die Dynasten zu Schutzjagden gezwungen, um die Erträge der Bauern und ihnen zu leistenden Abgaben zu sichern.
Nicht wenige von diesen Münzen sind bis heute noch immer rätselhaft und entziehen sich einer gesicherten Deutung. Überhaupt sind viele lykische Münzen Objekte von rätselhafter Schönheit. Sie sind dennoch neben den vielen Grabtexten wichtige Zeugnisse für die innere Entwicklung in dieser Landschaft.
Bei den ersten Münzen handelte es sich um Statere, die nach einem lykischen Standard zwischen 9 und 10 g, meist um die 9,5 g wiegen. Zur Anwendung kam später aber auch ein leichterer Standard, der sich vielleicht am attischen Münzfuß orientierte: Auf dessen Grundlage haben die Münzen ein Gewicht zwischen 8 und 8,70 g. Diese Prägungen zeigen, das Lykien kein abgeschlossenes Land sein sollte, sondern am Handel im östlichen Mittelmeerraum und am zivilisatorischen Fortschritt teilhaben wollte. Erst um 470 v. Chr. wurden in größerem Umfang Teilstücke der Statere geprägt, um auch kleinere Zahlungen mit Münzen leisten zu können. Eine starke Förderung erfuhr der Geldverkehr durch die Einführung von Bronzemünzen um 400 v. Chr.
Die lykischen Geldprägungen machen einen gewissen Wohlstand des Landes deutlich, der noch heute in den prachtvollen Grabbauten der Lykier leicht fassbar ist. Er dürfte vor allem auf agrarischen Produkten und dem Holzeinschlag beruht haben.
Gegen 480 v. Chr. weicht auf den Münzen das Incusum dem Rückseitenbild. Auf den Vorderseiten nimmt das Wildschweinthema noch immer breiten Raum ein; es kommen aber allmählich auch andere Tierbilder auf, die sich teilweise an griechische Münzen anlehnen.
Das Triskeles bzw. Dreibein, seltener auch ein Vierbein/Tetraskeles, war ein Symbol rotierender, d.h. ungeheurer Schnelligkeit und konnte mit vielen rasanten Vorgängen, etwa dem des Sonnenlaufs bzw. des Jahres, in Verbindung gebracht werden. Die antiken Menschen dieser Zeit faszinierte Schnelligkeit. Sie träumten sich geradezu in einen Geschwindigkeitsrausch hinein. Deshalb tragen viele Tiere auf den lykischen Münzen Flügel: So gibt es geflügelte Wildschweine, Löwen, Pferde, Stiere und Hirsche. Tiere, die schon von Natur aus geschwind waren, wurden durch Flügel zu mythischen Fabeltieren, nicht selten auch zu Monstern.
In einigen Fällen mögen solche Darstellungen auch auf orientalische Vorbilder zurückgegriffen haben. Das gilt auch für die Sphinx, die auf lykischen Münzen vorkommt. Allmählich werden auch Gottheiten auf den Münzen dargestellt. Sie erscheinen in griechischer Darstellungsweise, dürften trotz ihrer griechischen Bildlichkeit mit lykischen Gottesvorstellungen verbunden worden sein.
Von besonderer Bedeutung ist die monetäre Herausstellung der Athena und ihres Kauzes. Sie lässt auf wachsenden Einfluss der Athener bzw. der Griechen auf Lykien schließen.
Ab 450 v. Chr. finden sich immer mehr Legenden in lykischer Schrift und Sprache auf den Münzen. Sie belegen das Beharren auf die eigene Kultur. Über 35% der uns bekannten lykischen Münzen sind aber legendenlos, so dass anzunehmen ist, dass auch nach dem Aufkommen von Prägungen mit Legende, manche Münzherren weiter legendenloses Geld emittierten. Die Legenden nennen – oft in Abkürzungen – den Prägeherren und/oder den Prägeort. Hin und wieder werden besonders mächtige Prägeherren als khñtawati, d.h. „Vorsteher“ bezeichnet. Von den Münzen her kennen wir etwa 60-70 Dynasten, die lykische Münzen geprägt haben.
Zwischen persischer und athenischer Herrschaft
Da die Dynasten von Xanthos/Arñna in Westlykien und später auch die Dynasten von Limyra/Zêmuri in Ostlykien danach strebten, ihre Herrschaft über die Nachbardynasten, wenn nicht gar über ganz Lykien auszudehnen, waren ständige Kriege die Folge. Die Dynasten von Xanthos versuchten, für die Gewinnung einer weitreichenden Oberherrschaft, vor allem in Westlykien, die Zustimmung oder gar Unterstützung der Perser zu gewinnen. Als die Perser nach ihrem Fehlschlag, Griechenland zu erobern, in eine Schwächephase gerieten und die Athener und der von ihnen dominierte Seebund um die Mitte des 5. Jhdts. immer mehr in den östlichen Mittelmeerraum vordrangen, versuchte der xanthische Dynast Kuprlli (ca. 480-440 v. Chr.) mit den Athenern ins Geschäft zu kommen. Mit dem Dynasten Kheriga wandte sich die xanthische Dynastie, wahrscheinlich aufgrund schlechter Erfahrungen mit dem athenischen Seebund und seinen unverschämten Tributforderungen, wieder den Persern zu, die ihrerseits die Expansionsgelüste des xanthischen Hauses zuließen, wenn nicht gar förderten.
In dieser Zeit erschienen „Porträts“ – zunächst noch ohne markante physiognomische Merkmale – auf den lykischen Münzen; die beigefügten Legenden verhalfen aber zu einer eindeutigen Identifikation des Dargestellten. Oft tragen die auf den Münzen abgebildeten Dynasten persische Kleidungsstücke wie die persische Tiara („Balk“) und bekunden damit ihre Loyalität gegenüber dem Großkönig bzw. die dafür gewährte Unterstützung. Diese lykischen Münzen spielen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Münzporträts, das in den griechischen Poleis zunächst nicht aufkommen konnte, da die Münzbilder Göttern vorbehalten waren. Die Darstellung noch lebender Personen, so verdienstvoll und bedeutend diese auch immer gewesen sein mochten, wäre als eine Grenzüberschreitung angesehen worden.
Das Schicksal des Perikle
Was die xanthische Dynastie von Westlykien aus unternahm, nämlich ganz Lykien unter ihre Oberherrschaft zu bringen, versuchte zwischen 380 und 360 v. Chr. Perikle von Limyra – zunächst noch zusammen mit Trbbênimi, dann als Alleinherrscher – von Ostlykien aus. Sein griechischer Name, mit dem man den berühmten athenischen Staatsmann unweigerlich in Verbindung brachte, konnte als Perikles Bereitschaft, nunmehr auf die griechische Karte zu setzen, verstanden werden. Perikles Bestrebungen, die lykische Vorherrschaft der eng mit den Persern verbündeten, aber niedergehenden xanthischen Dynastie zu übernehmen, wurden von den Persern nicht akzeptiert.
Als die Xanthier nach dem Tod des Erbbina immer mehr in Familienstreitigkeiten versanken und schwächelten, schickten die Perser Mithrapata und Artumpara zur Sicherung ihrer Herrschaft nach Lykien, die Perikles Herrschaftsbestrebungen Grenzen setzen sollten. Daraufhin brach Perikle mit den Persern. Es gelang ihm, Artumpara zu schlagen, der daraufhin offenbar nach Side floh und von dort aus Rüstungen gegen Perikle betrieb. Perikle konnte sogar Telmessos im fernen Westen Lykiens erobern. Die Erfolge des Perikle scheinen dazu beigetragen zu haben, dass einige Satrapen sich gegen den persischen Großkönig wandten.
Der Untergang der Dynasten
Familiäre Streitigkeiten in der xanthischen Dynastie, aufkommendes persisches Misstrauen gegen deren Machtfülle und der Konflikt der Xanthier mit dem in Ostlykien zu größerer Machtfülle aufgestiegenen Perikle von Limyra führten schließlich zum Untergang lykischer Dynastenherrschaften. Als Perikle nicht nur die Herrschaft der xanthischen Dynasten gefährdete, sondern die Herrschaft der Perser über Lykien in Frage stellte, griff der persische Satrap Autophradates ein und ging gegen die unbotmäßigen Lykier gewaltsam vor. Lykien wurde um 360 v. Chr. der Herrschaft des Karers und persischen Satrapen Mausollos unterstellt. Damit endeten auch die lykischen Dynastenprägungen.
Griechische Poleis in Lyien
Die Ausschaltung der lykischen Dynasten und die knapp 30 Jahre später erfolgte Zerstörung des Perserreiches durch Alexander den Großen führte dazu, dass sich allmählich das griechische Polissystem in Lykien durchsetzte und nach griechischem Vorbild verfasste Städte entstanden. Frei von Oberherren blieb Lykien allerdings nicht. Von 309 bis 197 v. Chr. stand Lykien unter der Herrschaft der ägyptischen Ptolemäer. 197 v. Chr. eroberte Antiochos der Große Lykien, doch blieb seine Herrschaft nur ein Zwischenspiel. Nachdem die Römer ihn 190 v. Chr. in der Schlacht bei Magnesia am Sipylos vernichtend geschlagen hatten, musste er Lykien an den Verbündeten der Römer, an Rhodos abtreten. Die neuen Herren waren aber bei den Lykiern höchst unbeliebt und die lykischen Städte begannen, sich im Widerstand gegen Rhodos zu einen.
Die Auseinandersetzungen in Lykien nutzte Rom, dem sein Verbündeter Rhodos zu mächtig wurde und dessen Kaufleute den wirtschaftlichen Interessen römischer Handelsherren im Wege standen, dazu, Lykien im Jahre 167 v. Chr. für frei zu erklären. Damals entstand der Lykische Bund, der das Land vor Fremdherrschaft schützen und im Inneren den Frieden wahren sollte. Nachdem die Lykier über eineinhalb Jahrhunderte keine eigenen Münzen mehr geprägt hatten begannen sie nun Bundesprägungen. Diese orientierten sich an rhodischen Plinthophoren, trugen aber auf der Vorderseite den Kopf des Apollon, auf der Rückseite in einer rechteckigen Eintiefung (gr. plinthos) Apollons Kithara, flankiert von Legenden, die die Lykier, die Regionen Kragos und Masikytos wie auch für eine kürzere Zeit Phaselis und Olympos als Prägestätten ausweisen. Als im Jahre 43 n. Chr. Lykien römische Provinz wurde, wurde der Lykische Bund in einen Provinziallandtag umgewandelt, dem vor allem der Kaiserkult und die Unterstützung der römischen Administration oblag. Unter Gordian III. prägten lykische Städte zum letzten Mal eigene Münzen.
Der erste Teil von Münzen der Sammlung Sayar wird am 14. und 15. März 2024 von Künker in Osnabrück versteigert. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Prägungen aus Lykien, aber auch aus Pamphylien und Kilikien. Johannes Nollé hat nicht nur diesen Text verfasst, sondern auch eine Broschüre mit dem Titel „Dr. Ing. Kaya Sayar und seine grandiose Kleinasiensammlung“.