Der Große Kurfürst, die Steuern und der Aufstieg Preußens
Als Friedrich Wilhelm die Herrschaft über das Markgrafschaft Brandenburg antrat, erbte er ein verwüstetes Land: Im Verlauf des 30-jährigen Krieges war jeder zweite Einwohner gestorben – an Hunger, Krankheiten und der Grausamkeit der schwedischen Soldaten.
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Je nach Region waren 15 bis 85% der Bauernhöfe unbewirtschaftet, und die einst so stolzen Städte hatten bis zu Zweidrittel ihrer Bürger verloren.
Ein ruiniertes Land
Natürlich sehnten sich Friedrich Wilhelms Untertanen nach Frieden. Und sie wünschten sich einen Herrscher, der sie effektiv vor jeder äußeren Bedrohung schützen würde. Denn in dieser Hinsicht hatten Georg Wilhelm, Vater von Friedrich Wilhelm, völlig versagt. Der saß mit seinem Kronprinzen seit 1639 sicher im preußischen Königsberg. Dessen Bürger ließen 1639 von Sebastian Dadler eine Medaille anfertigen, die Ausdruck all ihrer Hoffnungen war. Die Rückseite zeigt die Personifikation des Friedens Pax vor der Landkarte Preußens. Die Umschrift lautet in Übersetzung: So werde ich, die befriedete Borussia, verehrt, die ich den goldenen Frieden als ein vortreffliches Geschenk des Himmels erlangt habe. Allerdings war von Frieden noch keine Rede, als Georg Wilhelm 1640 starb und Friedrich Wilhelm im Alter von 20 Jahren die Regierung übernahm.
Soldaten, Steuern und wie das mit der Verwaltung zusammenhängt
Die zentrale Ursache für Brandenburgs schreckliches Schicksal war die Tatsache, dass das Land kein eigenes Heer unterhielt. So konnte es niemandem, der die Kurmark als Aufmarschgebiet nutzte und dabei seine Soldaten „aus dem Land“ ernährte, effektiven Widerstand entgegensetzen. Die lokalen Milizen waren völlig überfordert. Friedrich Wilhelm entschied, stattdessen ein stehendes Heer aufzubauen. Doch das war teuer, und sein Steuerwesen völlig unterentwickelt.
Einkommenssteuern, wie wir sie heute kennen, gab es nämlich in der frühen Neuzeit nicht. Der Herrscher bezog sein Einkommen stattdessen aus den Erträgen seiner eigenen Güter und den Einnahmen aus den staatlichen Privilegien. Eines dieser Privilegien war zum Beispiel die Münzprägung. Jeder Herrscher verdiente am Schlagschatz mit, also an dem Betrag, der bleibt, wenn die Material- und Produktionskosten vom Nominalwert einer Münze abgezogen werden. Aber alle kurfürstlichen Einkommensquellen zusammen addierten sich höchstens auf zehn Millionen Taler im Jahr. Davon musste nicht nur der Hof, sondern auch die komplette Verwaltung des Landes bezahlt werden. Ein schlagkräftiges stehendes Heer war bei diesem Jahresbudget nicht drin.
Die traditionelle Lösung bestand darin, im Kriegsfall mit den Ständeversammlungen der verschiedenen Reichsteilen zu verhandeln. Die waren verpflichtet, einen Teil der Landesverteidigung zu finanzieren. Wie viel, das war nicht festgelegt und wurde im Notfall heiß diskutiert. Das dauerte. Bis endlich eine Entscheidung gefallen, die Steuer aufgebracht und das Heer aufgestellt war, stand der Feind längst im Lande.
Friedrich Wilhelm zwang seine Bürger stattdessen, einen jährlichen Beitrag zu den Militärkosten zu leisten. Natürlich waren die darüber nicht erfreut. Wieder gab es heiße Diskussionen. In Kleve drohte man Friedrich Wilhelm gar, er werde dasselbe Schicksal erleiden, wie Charles I. von England (Abb. 4). Den hatte sein Parlament – das englische Äquivalent zur deutschen Ständeversammlung – hinrichten lassen.
Aber Friedrich Wilhelm blieb hart. Und letztendlich einigte man sich. Doch um die neuen Militärsteuern einzuziehen und das Budget zu verwalten, brauchte es eine völlig neue Behörde. Friedrich Wilhelm setzte im April 1655 nach französischem Vorbild einen Generalkriegskommissar ein. Was zunächst als vorübergehende Maßnahme gedacht war, entwickelte sich zum zentralen Pfeiler der brandenburg-preußischen Finanzverwaltung.
Welche Möglichkeiten einem bleiben, wenn man nicht genug Steuern einnimmt
Das Heer von Friedrich Wilhelm wuchs schnell. Hatte er 1641/2 immerhin schon 3.000 Soldaten zur Verfügung, waren es zwischen 1643 und 1646 8.000, während des Ersten Nordischen Krieges 25.000 und im Holländischen Krieg sogar 38.000 Soldaten. Der Holländische Krieg wurde zwischen den Niederlanden und Frankreich geführt, und man kann sich mit vollem Recht fragen, warum Friedrich Wilhelm so viele Soldaten ausgerechnet für einen Krieg brauchte, der ihn nichts anging.
Der Grund waren wieder die Finanzen. Denn selbst die höchsten Steuern reichten nicht aus, um das stehende Heer, das Friedrich Wilhelm vorschwebte, zu bezahlen. Friedrich Wilhelm hatte als Jugendlicher viele Jahre in den Niederlanden verbracht und wollte genauso so eine moderne Ausrüstung wie er sie dort kennengelernt hatte. Weg mit den Piken! Weg mit den unhandlichen Luntenschlossgewehren! Her mit den neuen Steinschlossgewehren! Sie erzeugten den Funken mit Hilfe eines eingebauten Feuersteins, wodurch sich die Feuergeschwindigkeit und Zuverlässigkeit drastisch erhöhte.
Überhaupt, die Artillerie: Ihr gehörte die Zukunft. Friedrich Wilhelm stellte sie auf standardisierte Geschütze um, statt wie früher für jede Kanone eigene Munition mitzuschleppen.
Der Kurfürst errichtete eine Kadettenschule, um die Ausbildung der Offiziere zu vereinheitlichen. Er sorgte aber auch für ihre regelmäßige Besoldung und eine Versorgung im Ruhestand oder bei Invalidität. Die Soldaten waren unter ihm zufrieden, was man an der niedrigen Zahl von Desertationen ablesen kann.
All das war aber teuer. Ein Glück, dass damals in ganz Europa Krieg geführt wurde, und die einzelnen Herrscher nur zu glücklich waren, gegen hohe Geldzahlungen ein gut funktionierendes Heer auf ihrer Seite zu haben. Subsidien nannte man diese Zahlungen, damit ein Heer kämpfte, und manchmal auch, damit es daheim in der Garnison blieb. Ein Heer gegen Subsidien einzusetzen, entwickelte sich also zu einem hervorragenden Geschäftsmodell. Friedrich Wilhelm perfektionierte den Handel mit Soldaten. Er wurde zu einem Meister der Schaukelpolitik. Seine Diplomaten versteigerten sein militärisches Eingreifen geradezu höchstbietend. Zwischen dem Frankreich Ludwigs XIV. und dem Habsburger Kaiser Leopold I. wechselte er die Fronten so schnell, dass es selbst seinen Zeitgenossen schwindelig wurde.
Die Grenzen eines Mittelstaates
Und manchmal war es nicht Geld, das Friedrich Wilhelm für seine Dienste einforderte, sondern politische Zugeständnisse. Denn der Kurfürst wusste, dass es nicht der militärische Erfolg war, der ihm die Expansion ermöglichte, sondern dass er dafür das Wohlwollen der Großmächte brauchte.
So erzielte Friedrich Wilhelm seinen größten Erfolg lange bevor er sein Heer aufgebaut hatte. Während der Verhandlungen zum Westfälischen Frieden unterstützte ihn Frankreich dabei, den östlichen Teil Pommerns, sowie die ehemaligen Bistümer Halberstadt, Minden und Magdeburg einzustreichen, weil es so einen Gegenpol zu Habsburg schaffen wollte.
Oder ein anderes Beispiel: die Loslösung Preußens vom polnischen Lehnsherren. Sie glückte nur, weil damals zwei Umstände zusammentrafen: Polen wollte sich Brandenburgs Unterstützung gegen Russland sichern und war bereit, seine Lehnsherrschaft über Preußen aufzugeben. Und gleichzeitig brauchte Leopold I. für seine Wahl zum Kaiser die Kurstimme Friedrich Wilhelms. Er bekam sie – gegen seine Zustimmung zu diesem Deal.
Die berühmte Schlacht von Fehrbellin dagegen brachte keine wesentlichen Gebietsgewinne. Frankreich und der Kaiser bestanden nämlich darauf, dass Friedrich Wilhelm alle eroberten Gebiete den Schweden zurückgeben müsse: Beide Großmächte zogen ein schwaches Schweden einem starken Brandenburg vor.
Der Schutz des Reiches
Was Brandenburg bzw. Preußen aber wirklich groß gemacht hat, war pures Glück: Der fähige Herrscher Friedrich Wilhelm herrschte 48 Jahre lang und damit länger als irgendein anderes Mitglied seiner Familie. Und er hinterließ eine so große Schar von Kindern, dass der Fortbestand der Dynastie auf Generationen gesichert war.
Sieben Söhne gebaren ihm seine beiden Gemahlinnen. Damit war ein Aussterben der männlichen Linie der Hohenzollern praktisch unmöglich. Und das betonte Friedrich Wilhelm immer wieder auf seinen Medaillen. Besonders eindrücklich ist eine Medaille aus dem Jahr 1678, die während des Winterfeldzugs gegen die Schweden entstand. Der Kurfürst war damals bereits 58 Jahre, ein Alter in dem so mancher an den Tod dachte.
Die äußerst seltene Medaille zeigt auf einer Seite die Stadtansicht von Berlin, das Friedrich Wilhelm wieder aufbaute und befestigte. Darüber lesen wir LUCIDA AQUILAE, das Sternbild des Adlers. Dieses Sternbild gehörte zu den 21 seit der Antike bekannten Sternbilder des Nordens und verwies gleichzeitig auf das Wappentier der Hohenzollern. Damit können wir die Abbildung folgendermaßen interpretieren: Berlin und die Hohenzollern spielen in Nordeuropa dieselbe Rolle wie das Sternbild des Adlers. Es handelt sich um eine ewige Konstante.
Unterstrichen wird diese Behauptung durch die Botschaft der anderen Seite. Sie trägt die Aufschrift MUNIMENTA IMPERII (= der Schutz des Reichs) und zeigt die zweite Frau des Kurfürsten im Kreis ihrer Kinder. Zu ihrer Rechten steht der Älteste, Philipp Wilhelm. Auf der linken Seite sehen wir seine beiden kleineren Brüder, Albrecht Friedrich und Karl Philipp. Die älteste Schwester Maria Amalia bietet auf einem Teller Obst oder Süßigkeiten an, nach denen der einjährige Christian Ludwig greift. Er sitzt noch auf dem Schoß der Mutter, genauso wie die vierjährige Elisabeth Sophie. Dorotheas siebtes Kind ist nicht zu sehen, weil es zwei Jahre vorher verstarb.
Eine zweite, wesentlich häufigere Variante dieser Medaille weicht nur in der Rückseitendarstellung ab. Sie zeigt ein Adlernest mit sechs Küken. Jedes Küken steht für einen der zum Zeitpunkt der Prägung noch lebenden Prinzen.
Wilhelm Heinrich, der Älteste und Karl Emil, der Zweitgeborene, der auf Abb. 12 anlässlich seines 15. Geburtstags zusammen mit seinem Vater abgebildet ist, waren zu dem Zeitpunkt bereits tot. Friedrich (Abb. 13) wurde 1674 zum Kronprinzen.
Der Mythos des Großen Kurfürsten
Friedrich Wilhelm starb 1688. Man hatte ihn bereits zu Lebzeiten als den Großen Kurfürsten tituliert. Das ist eigentlich nichts Bemerkenswertes. Viele Lobredner schmückten ihre Mäzene mit dem Epitheton „groß“. Bemerkenswert dagegen ist, dass wir heute noch vom „Großen Kurfürsten“ sprechen und seine unermüdliche Tätigkeit beim Aufbau Preußens rühmen. Mit seiner Arbeitswut, seiner Detailversessenheit und seinem unermüdlichen Streben, die Macht der Hohenzollern zu vermehren, wurde Friedrich Wilhelm zum Vorbild, mit dem sich seine Nachkommen identifizierten. Sie erst machten den Großen Kurfürsten zu dem unsterblichen Mythos, der er heute ist.