Deutsche Sammlermünzen: Wo sind die Sammler?
von Sebastian Wieschowski
Um vier Uhr morgens aufstehen, mit überfüllten Bussen und Bahnen etwa zwei Stunden fahren und dann auch noch zwei weitere Stunden in klirrender Kälte ausharren – das muss Liebe sein. Doch dieser Aufwand war im vergangenen Jahr nötig, um zu den ersten glücklichen Münzensammlern zu gehören, die sich ein prägefrisches Exemplar der neuen 25-Euro-Silbermünze zu Weihnachten bei der Bundesbank-Filiale in Hamburg sichern konnten. Offenbar hatten der festliche Anlass in Verbindung mit dem Edelmetallgehalt der Münze dazu geführt, dass die Schlange am Morgen der Erstausgabe auf Rekordniveau anwuchs.
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Als ich am Morgen des 23. November 2023 aus der U-Bahn am Hamburger Rödingsmarkt ausstieg und meinen Blick in Richtung der Hauptverwaltung der Bundesbank schweifen ließ, konnte ich bereits aus der Ferne sehen: Nichts. Keine Schlange, keine Menschen. Auch bei näherer Betrachtung: Nichts, was auf eine fulminante Erstausgabe einer Sammlermünze hindeutete. Ein paar Bundesbank-Mitarbeiter, die vorm Gebäude die erste Raucherpause einlegten. Kein Hinweisschild für eine Warteschlange für Sammler. Lediglich ein Aufsteller erinnerte, versteckt hinter einer Tür, an die Erstausgabe der 25-Euro-Silbermünze „Erzgebirgischer Schwibbogen“, die an diesem Tag zum Nennwert eingetauscht werden konnte.
Mit Security zum Münzen-Schalter
Ein Jahr zuvor, am 24. November 2022, sah es an dieser Stelle ganz anders aus: Bereits zwei Stunden vor der Öffnung der Bundesbank-Niederlassung warteten die ersten Menschen in klirrender Kälte vor dem Gebäude. Die Bundesbank-Mitarbeiter hatten in weiser Voraussicht zwei Wartebereiche eingerichtet: Für „Nur Sondermünz-Ausgabe“ und „Sämtliche andere Geschäfte“. Als es um 8:30 Uhr endlich losging, war die Schlange der Sondermünz-Ausgabe auf rund 200 Menschen angewachsen und reichte bis auf den angrenzenden Fußweg. In Vierer-Gruppen wurden die Sammler mit Security in das Foyer der Bundesbank-Hauptverwaltung eingelassen und mit dem Fahrstuhl in den Sammler-Olymp befördert, genauer gesagt, in den Schalterbereich im 2. Stock.
In diesem Jahr kamen diejenigen, die sich ein Exemplar der neuen Weihnachtsmünze sichern wollten, also ganz ohne Wartezeit zu ihrem Glück. Ein paar vereinzelte Sammler warteten vor den Kassenschaltern. Doch was darin passierte, ließ manchen Münzenfreund ratlos zurück: „Was wollen Sie?“, lautete die lustlose Frage, die eher an eine KFZ-Zulassungsstelle erinnerte. Kurz darauf schob der „Geldbearbeiter“, wie es im besten Behördendeutsch heißt, die prägefrischen Silbermünzen über die metallene Oberfläche des Schalters in Richtung des Ausgabefaches.
Unmut über Qualitätsmängel
Ob die Kratzer und Dellen, die bei näherer Betrachtung der Münzen sichtbar wurden, von dieser Übergabe stammten oder bereits vorher entstanden sind, lässt sich nicht mit letzter Gewissheit feststellen – dagegen dürften sich die Milchflecken, die auf einzelnen Silbermünzen zu sehen waren, womöglich schon im Produktionsprozess entwickelt haben. „Immerhin ist diesmal keine Farbe drauf, die nachher abfällt“, grummelte eine ältere Sammlerin, nachdem sie ihre Münzen in Empfang genommen hatte.
Auf dem Heimweg komme auch ich ins Grübeln: Was ist nur in der Welt der deutschen Münzen los? Seit vielen Jahren bin ich als Journalist dabei, wenn die Bundesbank neue Sammlermünzen ausgibt. Wehmütig erinnere ich mich an die Erstausgaben der Polymer-Münzen aus der Serie „Klimazonen der Erde“ zurück. Eine Erstausgabe war ein Ereignis, für das es sich lohnte, früh aufzustehen. Man vertrieb sich die Wartezeit in der Schlange, um mit anderen Sammlern ins Gespräch zu kommen. Und man hatte am Ende des Vormittags ein echtes Erfolgserlebnis – eine Münze zu bekommen, deren Sammlerwert wenigstens ein paar Euro über dem Nennwert liegen würde.
Abnehmendes Interesse an Erstausgaben seit Jahren
Doch bereits die Erstausgabe der neuen Zwei-Euro-Gedenkmünzen aus der zweiten „Bundesländer“-Serie zu Beginn dieses Jahres wurde für mich als leidenschaftlichen Sammler und kritischen Reporter zu einer Enttäuschung: Ausgerechnet in Hamburg lockte die Erstveröffentlichung der Umlauf-Gedenkmünze mit der Elbphilharmonie, dem neuen Wahrzeichen der Hansestadt, nur ein paar dutzend Sammler auf die Straße. Der Rest blieb offenbar zuhause – in weiser Voraussicht, dass eine Münze mit einer Auflage von 30 Millionen Exemplaren früher oder später im Umlauf zu finden sein wird.
Jede Medaille hat zwei Seiten – diese Binsenweisheit trifft auch auf die Nachfrage nach Münzen zu. Sicherlich haben viele Menschen in Deutschland gerade andere Sorgen, als morgens für eine Silbermünze aufzustehen. Und natürlich hat es auch Vorteile für den Sammler, wenn er nicht stundenlang vor einer Bundesbank-Filiale auf seinen Schatz warten muss. Doch sind wir Sammler nicht auch Jäger? Und ist dieser Jagdinstinkt nicht Teil der Leidenschaft, die uns als Münzensammler eint? Zudem: Wer hat nichts dagegen, Versandkosten und den Händleraufschlag zu sparen und stattdessen die neuesten Münzen zum Nominalwert zu ergattern?
Andere Prägestätten wie die Münze Österreich zeigen uns, wie die Münzenjagd auch im Jahr 2023 noch Spaß machen kann: Eine Ausgabepolitik mit Prägemengen, die ein gesundes Mittelmaß zwischen „superselten“ und „Massenware“ treffen, dazu eine makellose Prägequalität und kontinuierliche Innovationen – dieses Erfolgsrezept sorgt dafür, dass es sich lohnt, morgens für eine Erweiterung der Sammlung etwas früher aufzustehen. Und auch in Deutschland gäbe es gewisse Stellschrauben: Wie wäre es beispielsweise, die Ausgabe mehrerer Sammlermünzen zusammenzulegen (im Vorjahr gab es neben der Weihnachts-Münze auch erstmals die Insekten-Münzen)? Oder auf einen Samstag zu legen (damit auch die arbeitende Bevölkerung beim Shopping-Bummel in den großen Metropolen einen Abstecher zur Bundesbank machen kann)? Und ganz nebenbei wäre es wünschenswert, sowohl Qualität als auch Quantität der deutschen Sammlerprägungen einmal genauer unter die Lupe zu nehmen – damit die treuen Sammler, die sich morgens auf den Weg machen, nicht enttäuscht werden.