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Judenverfolgerin Maria Theresia

Am 23. Juni 2023 versteigert das Osnabrücker Auktionshaus Künker in Auktion 389 eine Sammlung von jüdischen Medaillen, darunter einige äußerst seltene Stücke, die daran erinnern, dass der Weg zur Gleichberechtigung jüdischer Mitbürger in Europa ein äußerst dorniger war.

Inhalt

Wir stellen in diesem Beitrag eines der bedeutendsten Stücke der Sammlung vor, eine Medaille, die das letzte Edikt der frühen Neuzeit thematisiert, das den Juden ihre Heimat nahm. Es musste wieder zurückgenommen werden. Die junge, unerfahrene und kompromisslos antisemitische Maria Theresia konnte sich mit ihrem Vorhaben in einem aufgeklärten und am wirtschaftlichen Erfolg orientierten Europa nicht mehr durchsetzen. Ganz anders als ihr Landsmann rund 200 Jahre später.

Die Altneusynagoge in Prag, die älteste noch unzerstört erhaltene Synagoge der Welt. Foto von 1860. Quelle: Library of Congress.

Die Altneusynagoge in Prag, die älteste noch unzerstört erhaltene Synagoge der Welt. Foto von 1860. Quelle: Library of Congress.

Josefov: Das jüdische Ghetto in Prag

Das Prager Ghetto gehört heute zu den meistbesuchten Sehenswürdigkeiten Tschechiens. Es wird auch als Josefov – Josefstadt bezeichnet. Namensgeber ist Joseph II. Er erließ 1782 ein Toleranzedikt, das den Juden die Gewerbefreiheit brachte und das Ende der fragilen Autonomie innerhalb des jüdischen Ghettos bedeutete. Josefs Mutter hatte die Prager „Judenfrage“ noch ganz anders zu lösen versucht.

Die Vertreibung

Am 18. Dezember des Jahres 1744 befahl Maria Theresia, alle Juden bis Ende Januar 1745 aus Prag, bis Ende Juni aus Böhmen zu entfernen. Es war ein besonders kalter Winter, in dem sich die über 10.000 Juden des Prager Ghettos auf den Weg machen mussten, eine neue Heimat zu finden. Für die Hauptstadt Böhmens bedeutete das einen erheblichen Aderlass. Etwa jeder vierte Prager musste die Stadt verlassen.

Sie überschwemmten die umliegenden Dörfer, die auf diese große Zahl an Flüchtlingen natürlich nicht vorbereitet waren. Einige skrupellose Menschen wurden reich, indem sie Ställe und überfüllte Häuser zu exorbitanten Mietpreisen an die Verzweifelten vermieteten. Der Prager Mob stürmte derweilen das Ghetto, um sich am Zurückgelassenen zu bereichern.

Die staatlichen Behörden und die führenden Kaufleute reagierten ganz anders. Sie ließen die Kaiserin wissen, dass es völlig illusorisch sei, ihren Befehl umzusetzen. In bewegenden Worten schilderten sie das Elend der Geflohenen, ihren Hunger, ihre Angst, ihre Hilflosigkeit. Und sie machten darauf aufmerksam, dass sich durch die Enge in den Flüchtlingscamps selbstverständlich Seuchen verbreiteten, die natürlich auch Nicht-Juden befielen.

Sogar Maria Theresia musste einsehen, dass sich ihr Befehl nicht so umsetzen ließ, wie sie sich das vorgestellt hatte. Kurz vor Ablauf des zweiten Ultimatums, nämlich am 15. Mai 1745, gestattete sie den Ausgewiesenen, vorläufig in Böhmen – Prag ausgenommen – zu bleiben.

Jude reitet auf der Judensau – eine despektierliche Anspielung darauf, dass Juden sich aus rituellen Gründen des Genusses von Schweinefleisch enthalten. Diese Verunglimpfung findet sich an der bemalten Holzdecke eines Prager Bürgerhauses und entstand ungefähr zeitgleich mit dem Ausweisungsedikt. Foto: UK.

Jude reitet auf der Judensau – eine despektierliche Anspielung darauf, dass Juden sich aus rituellen Gründen des Genusses von Schweinefleisch enthalten. Diese Verunglimpfung findet sich an der bemalten Holzdecke eines Prager Bürgerhauses und entstand ungefähr zeitgleich mit dem Ausweisungsedikt. Foto: UK.

Der ganz gewöhnliche Antisemitismus

Auch wenn die gebildeten Stände sich gegen das Judenedikt wandten, fand die Entscheidung Maria Theresias innerhalb der weniger intellektuellen Kreise große Zustimmung. Schließlich war es so einfach, die Juden zu Sündenböcken dafür zu stempeln, dass erst die Bayern im Herbst des Jahres 1741, dann die Preußen 1744 Böhmen geradezu im Handumdrehen erobern konnten. Wenn die Juden schuld waren, musste sich das Militär keine Vorwürfe anhören, es habe versagt. Wenn die Juden schuld waren, musste Maria Theresia nicht darüber nachdenken, warum es ihr nicht gelungen war, die Loyalität der böhmischen Adligen und Bauern zu gewinnen. Wenn die Juden schuld waren, musste sich kein Prager Handwerker die Frage stellen, warum er keinen Erfolg hatte.

Die Vertreibung der Juden war eine populäre Maßnahme, mit der viele einfältige Menschen glaubten, komplexe Probleme schnell lösen zu können.

Der Protest

Gebildete Menschen sahen das anders. Die leitenden Prager Behörden widersetzten sich dem Befehl – nicht im Wort, aber im Geist, und das unter hohem persönlichen Risiko. So argumentierten sie, man habe den Juden zwar verboten, in Prag zu wohnen, aber das hieße nicht, dass es ihnen verboten sei, ihren Geschäften nachzugehen. Selbstverständlich ließen sie die Juden aus den umliegenden Dörfern am Tag die Stadttore passieren und schauten dann nicht so genau hin, ob sie das Stadtgebiet für die Nacht verließen.

Ja, die obersten Behörden erließen sogar Gesetze, die es verboten, zu plündern und sich jüdischen Besitz anzueignen. Dazu wurden sie regelmäßig in Wien vorstellig, um die Monarchin dazu zu bewegen, ihr Edikt zurückzunehmen.

Auch aus dem Ausland erhielt die Monarchin Protestnoten. Die ersten, die intervenierten, waren die Niederlande. Die mächtigen jüdischen Gemeinden in Amsterdam und Rotterdam hatten eine Intervention durchgesetzt. Vorbei war die Zeit, als sich Juden zu hilflosen Opfern hatten machen lassen. Sie nutzten ihren Einfluss, um solidarisch ihre Glaubensgenossen zu unterstützen.

Dies tat auch die jüdische Gemeinde von Hamburg, die den Hamburger Stadtrat überzeugte, sich an die Wiener Kaufleute zu wenden, um diese auf die wirtschaftlichen Folgen der Vertreibung aufmerksam zu machen.

Aber auch der Erzkanzler des Heiligen Römischen Reichs, der Mainzer Erzbischof, trat genauso wie sein Kölner Amtsbruder für die Prager Juden ein mit dem Hinweis darauf, welchen enormen Reputationsschaden eine Vertreibung für das Reich bedeuten würde.

Die Herrscher von Großbritannien, Dänemark, Braunschweig und Bayern, ja die Serenissima Venedig schickten ihre Botschafter. Maria Theresia ließ das auf den ersten Blick völlig ungerührt.

Sie reagierte erst, als sich 1747 die böhmischen Stände für ihre jüdischen Mitbewohner einsetzten. Sie listeten detailliert in einem Schreiben an die Wiener Hofkanzlei auf, welchen wirtschaftlichen Schaden die Vertreibung der Juden gebracht hätte und bringen würde. Sie, die Stände, wollten die Juden zurückhaben. Und hier endlich reagierte die Monarchin.

Sie reorganisierte damals ihr Steuerwesen und brauchte die Zustimmung der Stände. Die gingen darauf ein und Teil des Deals war die Rücknahme des judenfeindlichen Edikts. Selbstverständlich verdiente der Staat daran: Maria Theresie erhielt dafür 300.000 Gulden. So konnten die Juden 1748 in ihr völlig zerstörtes Prager Ghetto zurückkehren und das mit der Garantie auf 10 Jahre Bleiberecht. 1755 wurde diese Frist verlängert.

Silbermedaille von Niklaas van Swinderen auf die Aufhebung des Edikts zur Vertreibung der Prager Juden im Jahr 1748. Aus der Sammlung Dr. Arthur Polak. Äußerst selten in Silber, wohl das einzige Exemplar im Handel. Vorzüglich. Aus Auktion Künker eLive Premium 389 (23. Juni 2023), Nr. 2674.

Silbermedaille von Niklaas van Swinderen auf die Aufhebung des Edikts zur Vertreibung der Prager Juden im Jahr 1748. Aus der Sammlung Dr. Arthur Polak. Äußerst selten in Silber, wohl das einzige Exemplar im Handel. Vorzüglich. Aus Auktion Künker eLive Premium 389 (23. Juni 2023), Nr. 2674.

Die Medaille

An dieses Geschehen erinnert eine Medaille, die der niederländische Medailleur und Goldschmied Niklaas van Swinderen schuf. Er war zwischen 1736 und 1760 in Den Haag tätig und hat sich mit den Buchstaben N.V.S.F. (= Niklaas von Swinderen fecit) auf der Vorderseite verewigt.

Wir lesen auf der Vorderseite die Überschrift EXILIO MINATO (= als das Exil drohte). Sie zeigt die Herrscherin Maria Theresia auf ihrem hohen Thron sitzend, zu beiden Seiten die Tugenden Gerechtigkeit und Milde. Dass die Darstellung von Iustitia und Caritas nicht ironisch gemeint ist, sagt uns die Inschrift im Abschnitt. Sie lautet übersetzt: damit die Königin in solchen Angelegenheiten ihren Dienern gegenüber nicht misstrauisch werde. Damit spielt die Medaille auf den Verdacht an, die jüdische Gemeinde Prags hätte die Feinde der Habsburger unterstützt.

Als Zitat ist das 1. Buch der Könige 22, Vers 15 angegeben. Doch damit kommt man nicht weiter, weil sich Darstellung und Inschrift nämlich auf das 1. Buch Samuel 22, Vers 15 beziehen. Darin wird der Mord am Priester Achimelech geschildert. Der Text, der von der tatsächlichen Umschrift inhaltlich wesentlich abweicht, lautet: Der König möge seinem Knecht und dem ganzen Haus meines Vaters nichts unterstellen; denn dein Knecht hat von all dem nichts gewusst, weder Wichtiges noch Unwichtiges.

Vor der Königin steht ein Feldherr, der auf einen in rituelle Gewänder gekleideten jüdischen Priester weist, wohl um ihn zum Sündenbock für sein eigenes Versagen zu machen. Der hebt die Hand zum Schwur und bezeugt damit die Unschuld aller Juden. In der Hand hält er Urim und Thummim, das uralte Orakel, durch das der Hohepriester den Willen Gottes erfahren konnte. Das Chronogramm muss umgestellt und die vielen V (= 5) zu jeweils 10 addiert werden, um auf die Jahreszahl 1744 zu kommen, also auf das Jahr, in dem Maria Theresia ihr antisemitisches Edikt erließ.

Dass auf der Medaille keine biblische Szene gemeint ist, sondern ganz konkret die Prager Judenvertreibung zeigt nicht nur das genaue Datum der Verkündigung (18. Dezember = 13. Tevet), sondern auch der Ausblick auf die Kleinseite Prags mit dem Brückentor, das der jüdischen Gemeinde fortan versperrt blieb.

Die Rückseite steht unter dem Motto DECRETO ABOLETO (als das Dekret abgeschafft wurde). Wieder ist der exakte Tag dieses Erlasses angegeben, nämlich der 15. Mai, resp. der 13. Ijjar. Wir werfen einen Blick in den unzerstörten Salomonischen Tempel, dessen beide Säulen Jachin und Boas den Eingang bilden. Auf dem Altar brennt ein Lamm als Opfertier, dessen Gestalt verdächtig an den von Maria Theresias Vater wiederbelebten Orden vom Goldenen Vlies erinnert. Immerhin steigt der Rauch des Dankopfers zum Himmel auf als Zeichen dafür, dass dieses Geschehen Gott wohlgefällig ist. Im Tempelhof danken Juden Gott für ihre Errettung.

Die wiederum etwas abgeänderte Umschrift lautet: Dies sind die Tage, die niemals jemand in die Vergessenheit verbannen wird und die im Laufe jeder Generation in allen Provinzen der Welt gefeiert werden. Das Zitat greift einen Vers aus dem Buch Esther (9,28) auf, der die Einrichtung des Purimfestes feiert: Diese Tage sollten in Erinnerung bleiben und in jeder Generation, in jeder Familie, in jeder Provinz und in jeder Stadt begangen werden. Die Juden sollten nie aufhören, das Purimfest zu feiern, diese Tage sollten bei ihren Nachkommen nie vergessen werden.

Tatsächlich wird das Purimfest heute noch gefeiert und erinnert daran, dass der persische König sich von seiner jüdischen Gemahlin Ester überzeugen ließ, den Plan seines Großwesirs, alle Juden zu ermorden, nicht in die Tat umzusetzen.

Dass das biblische Geschehen auf reale Vorgänge anspielt, dafür zeugen die Wappen, die links und recht zu sehen sind. Sie stehen für die Nationen, die sich für die Prager Juden eingesetzt haben, nämlich Großbritannien, Dänemark (nicht Schweden, wie in der Standardliteratur zu lesen), Polen und die Niederlande.

Das Chronogramm im Abschnitt lässt sich auf 3762 addieren. Ein Datum, das bisher nicht gedeutet ist. Es steht für ein jüdisches Datum, das dem Jahr 1 der christlichen Ära entspricht. Vielleicht spielte der Künstler damit darauf an, dass mit der Aufhebung des Vertreibungsedikts sich eine christliche Herrscherin endlich einmal auch gemäß christlicher Ideale verhielt.

Rund zweihundert Jahre bis zum Holocaust

Die Vertreibung der Juden aus Prag war die letzte große Judenvertreibung in Europa vor den schrecklichen Ereignissen des 20. Jahrhunderts. Auch wenn die Medaille anderes anklingen lässt, widerrief Maria Theresia ihr Edikt nicht aus Überzeugung, sondern wegen der Staatsraison. Sie behauptete bis zu ihrem Tod, dass es „keine ärgere Pest“ für den Staat gäbe als die Juden.

Beachtenswert bleibt aber die große Solidarität, die die jüdische Gemeinde von Prag sowohl innerhalb ihrer Glaubensgenossen als auch im gesamten christlichen Europa erfuhr. Das Gedankengut der Aufklärung hatte die Idee der grundsätzlichen Gleichheit aller Menschen zumindest in einigen führenden Köpfen fest verankert.

Sekundärliteratur

  • Stefan Plaggenborg, Maria Theresia und die böhmischen Juden. In: Zeitschrift für Geschichte und Kultur der böhmischen Länder 39 (1998), S. 1-16.
  • Prof. Kinsky, Antwort auf die Anfrage im Hesperus VII. Heft 1816 S. 270 eine jüdische Denkmünze betreffend. In: Hesperus (1817), S. 142-143.

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