Wilhelm Müseler (1952-2023)
Wilhelm Müseler war einer der kantigsten Menschen, die ich kennengelernt habe. Er war geradlinig und kompromisslos. Mit seiner Art, exakt das zu sagen, was er dachte, ohne auf die Empfindlichkeiten seines Gegenübers Rücksicht zu nehmen, machte er sich nicht nur Freunde. Denjenigen aber, die sich die Zeit nahmen, ihn besser kennenzulernen, war er ein loyaler und hilfsbereiter Freund, mit dem man genauso gut über Münzen fachsimpeln wie über Gott und die Welt philosophieren konnte.
Geboren im Jahr 1952 in Hannover war die Numismatik für ihn geradezu unvermeidlich. Schließlich erhielt sein Vater Karl Müseler, ein Rechtsanwalt und begeisterte Münzsammler, im Jahr von Wilhelms Geburt den Auftrag, die Münzsammlung der Preussag mit Bergbaugeprägen wieder aufzubauen. So war die Numismatik im Hause Müseler schon während seiner Schulzeit ein ständiges Thema.
1972 nahm Wilhelm Müseler das Studium der Alten Geschichte in Tübingen, Saarbrücken und Konstanz auf. Vielseitig wie er war, nutzte er diese Zeit, um in die verschiedensten Nebenfächer hineinzuschmecken: Empirische Kulturwissenschaften, Allgemeine Rhetorik, Anglistik und Amerikanistik, dazu bereiste er den Mittelmeerraum und den Vorderen Orient, sah so Orte, die uns heute wegen der verschiedenen Kriege nicht mehr zugänglich sind. 1979 machte er den Magister. Eigentlich hätte danach seine akademische Karriere beginnen sollen. Wilhelm Müseler bereitete während seiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Alte Geschichte in Konstanz bereits seine Dissertation vor, aber der Universitätsbetrieb passte nicht zu dem alles andere als angepassten Numismatiker.
Er fand seine Bestimmung im Münzhandel. Dieter Raab stellte ihn als Leiter der Abteilung Antike im Auktionshaus Dr. Busso Peus Nachf. ein und ließ ihm in dieser Position völlig freie Hand. Das brauchte Wilhelm Müseler, um sich zu entfalten. Wer ihn in seinem Büro besuchte, kam in einen völlig verräucherten Raum, im Aschenbecher immer ein kleiner Haufen von Kippen. Um sich herum hatte Wilhelm meistens mehrere Bücher ausgebreitet, in denen er die Münze recherchierte, die ihn gerade interessierte. Wilhelm langweilte sich, wenn er gut dokumentierte Münzen zu beschreiben hatte, und zwar unabhängig von der Höhe des zu erwartenden Preises. Diese Ware handelte er mit geradezu spartanischen Beschreibungen ab. Wenn dagegen etwas seine Neugier weckte, dann verfasste er dazu einen Kommentar von beeindruckender Länge, der wissenschaftlich keinen Vergleich zu scheuen brauchte, und zwar ebenfalls unabhängig von der Höhe des zu erwartenden Preises.
In einigen, von vielen Forschern damals vernachlässigten Bereichen entwickelte sich Wilhelm Müseler zu „der“ Autorität. Erwähnt sei an dieser Stelle nur Lykien, dessen Münzprägung ihn faszinierte, und zu deren Erforschung er einen erheblichen Beitrag geleistet hat. Dafür arbeitete er immer eng mit Sammlern zusammen. Wilhelm Müseler war ein äußerst geschätzter Berater, gerade wenn ein Sammler sich nicht auf die klassische Münzprägung von Magna Graecia oder Rom beschränken wollte. Er betrachtete die Sammlungen „seiner“ Sammler immer ein bisschen als seine eigenen und genoss es so sehr, wenn er ihre hohen Gebote mit kräftigem Bass in den Saal rufen konnte.
2016 ging Wilhelm Müseler in den Ruhestand. Er freute sich darauf, mit seiner zweiten Frau Rose de la Chaise die Genüsse des französischen Landlebens zu teilen. Er war glücklich, weil er nun die Zeit fand, seine Forschungsvorhaben zu Ende zu bringen. Er besuchte viele numismatische Kongresse, ließ sich gerne auf Münzbörsen sehen und hatte Spaß daran, das was er sein Leben lang getan hatte, auch nach seiner Pensionierung fortzuführen.
Ein Höhepunkt war es, als er 2016 der wissenschaftlichen Welt sein Opus zur lykischen Münzprägung vorstellte. Als Protest gegen die Ausgrenzung von im Handel publizierten Münzen durch einige Wissenschaftler, entschied er sich bewusst, für sein Buch ausschließlich Münzen aus Privatsammlungen zu nutzen.
Das letzte Mal sah ich Wilhelm Müseler auf dem Internationalen Numismatischen Kongress in Warschau im September 2022. Er hatte dort so viel Spaß. Wenige Wochen später wurde bei ihm eine aggressive Art von Krebs diagnostiziert, die erschreckend schnell voranschritt.
Wilhelm Müseler hat sich entschlossen, so zu gehen, wie er gelebt hat: Selbstbestimmt und in Würde. Er starb am 20. Februar 2023 im Kreise seiner Familie: seiner Frau Rosmarie, seinen Kindern Ariane, Sabine und Ghislain. Ihnen gilt unser Mitgefühl. Sie verlieren in ihm einen liebevollen Mann und Vater.
Die Numismatik verliert in Wilhelm Müseler einen scharfen Denker und begeisterten Forscher, der das Material kannte wie kein zweiter.
Requiescat in pace.