Sammler, Mäzen, Patient – Das tragische Leben von Rudolf II. Teil 2: Der Kaiser
Im ersten Teil haben wir von Rudolfs Familiensituation und seiner Krankheit erfahren. Nach den prägenden Jahren am spanischen Hof bereitete Rudolfs Vater den Sohn auf die Herrschaft vor, dann verstarb Maximilian plötzlich und Rudolf musste an seine Stelle treten.
Die Kaiserkrönung und ihre Gnadenpfennige
Dass Maximilian verstorben war, während sich die Großen des Reichs in Regensburg zum Reichstag versammelt hatten, traf sich günstig. Die Krönung des neuen Kaisers Rudolf wurde aus Gründen der Kostenersparnis gleich in Regensburg durchgeführt.
Im Zusammenhang mit der Krönung dürfte ein Gnadenpfennig stehen, den der wichtigste Medailleur der Habsburger, Antonio Abondio, schuf. Dieser hatte bereits für Rudolfs Vorgänger gearbeitet und sollte auch für Rudolfs Nachfolger arbeiten. Denn jeder Kaiser brauchte jene häufig mit Medaillen verwechselten Objekte, die dazu dienten, verdiente Persönlichkeiten um den Kaiser auszuzeichnen.
Gnadenpfennige wurden an ausländische Herrscher und Diplomaten vergeben, an Mitglieder der Regierung, hohe Militärs und an alle, denen ein hoher Herr ein sichtbares Zeichen seiner Gunst gewähren wollte. Sie verschwanden nicht in den Schubladen eines Münzschranks, sondern wurden auffällig über der Kleidung getragen. Mit ihnen betonte der Beschenkte, in welch hoher Gunst er stand, ganz abgesehen davon, dass solche Gnadenpfennige mit ihren Ketten einen hohen finanziellen Wert darstellten. Die goldenen Ketten, die heutzutage im Deutschen sprichwörtlich geworden sind, haben ihren Ursprung in der Sitte, solche Gnadenpfennige zu verschenken.
Natürlich wurden solche Geschenke nicht nur vom Kaiser und anlässlich einer Krönung gemacht, aber jede Krönung stellte einen Zeitpunkt dar, zu dem sich der Kaiser besonders großzügig erweisen musste. Deshalb ist es sehr wahrscheinlich, auch wenn keine Jahreszahl auf dem Gnadenpfennig zu lesen ist, dass er im Zusammenhang mit der Geschenkevergabe im Rahmen der Kaiserkrönung entstand.
Was für hohe Ziele sich Rudolf gesteckt hatte, zeigt die Darstellung des Gnadenpfennigs. Wir sehen auf ihr einen Adler mit ausgebreiteten Flügeln, der einer strahlenden Sonne entgegen fliegt, in der ein Lorbeerkranz geborgen ist. Wie wir den zeitgenössischen Sammlungen von Emblemen entnehmen können, glaubte man damals, dass der Adler der einzige Vogel sei, der mit offenen Augen direkt in die Sonne als Inbegriff der göttlichen Macht blicken könne. Diese Einzigartigkeit machte den Adler zu einem idealen Symbol für den Kaiser, der sich in der Darstellung durch seinen Flug zu Sonne den Lorbeerkranz als Siegeszeichen sichert. Die Umschrift „Für das öffentliche Wohl“ beschrieb, wofür der Kaiser kämpfen wollte.
Noch deutlicher werden die Vorstellungen Rudolfs von seinem kaiserlichen Amt in einer zweiten Prägung. Sie zeigt das Capricorn als Geburtszeichen des Herrschers. Hier blitzt Rudolfs profunde Kenntnis über die Antike und die Numismatik auf. Er wusste, dass schon der Friedenskaiser Augustus dieses Zeichen für sich nutzte.
Noch mit einem zweiten Symbol nimmt Rudolf Bezug auf Augustus. Der signalisierte durch die Erfindung seines großartigen Säkularfests der römischen Bevölkerung, nun bräche ein neues Zeitalter an. Paul von Vianen thematisiert dieses neue, goldene Zeitalter auf dem von ihm gestalteten Gnadenpfennig. Er zeigt ein Oval, das für den auch in alchemistischen Kreisen sehr beliebten Ouroboros steht, für die Schlange der Ewigkeit, die sich selbst in den Schwanz beißt. Auch den Ouroboros kennen wir von römischen Münzen als Symbol des goldenen Zeitalters. Rudolf sollte dieses Symbol immer wieder einsetzen.
Die Aufschrift „Es leuchtet des Kaisers Gestirn“ kommentiert die Darstellung, die einen Adler zeigt, der im Zeichen des Capricorn zu den Sternen fliegt, um so ein glückliches neues Zeitalter einzuläuten.
Große Pläne also für die Herrschaft! Und wie setzte Rudolf II. sie in die Tat um?
Ein fauler Kaiser?
Geschichtsbücher des 19. Jahrhunderts beschreiben Rudolf II. gerne als faul und unentschlossen. Dem steht schon entgegen, dass er in den 34 Jahren seiner Regierung fünfmal den Reichstag einberief: 1582, 1594, 1598, 1603 und 1608. Die ersten beiden Male war er sogar in höchsteigener Person anwesend. Zum Vergleich: Rudolfs Nachfolger Matthias gelang es in den sieben Jahren seiner Herrschaft, keinen einzigen Reichstag durchzuführen.
Rudolfs Reichstage waren hoch effizient. Auf ihnen wurde zum Beispiel die letzte allgemein anerkannte Reichspolizeiordnung angenommen sowie der Gregorianische Kalender, der heute weltweite Anwendung findet. Für uns Numismatiker ist es natürlich von Interesse zu hören, dass der Kaiser die Münzprägung im Reich regelmäßig überwachte und zumindest versuchte, regelnd einzugreifen, als der Reichspfennigmeister feststellen musste, dass die Kleinmünzen immer mehr vom festgelegten Feingehalt und Gewicht abwichen.
Wir können uns im Zeitalter von E-Mail, Skype und einer geordneten Bürokratie mit einer Fülle von Beamten kaum mehr die Mühsal nicht vorstellen, die ein frühneuzeitlicher Herrscher zu bewältigen hatte. Schließlich musste der größte Teil der Entscheidungen, wichtig oder unwichtig, über seinen Tisch laufen. Das hieß alle eingehenden Briefe lesen, durchdenken und beantworten. Wer seine Arbeit nicht an die Minister delegieren wollte, war schnell von dem bedroht, was wir heute als Burn-Out bezeichnen. Denn die Fülle von Problemen mit denen sich ein ernsthaft um das Schicksal seiner Untertanen bemühte Herrscher konfrontiert sah, war in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts enorm. Theoretisch lebten die Konfessionen in Frieden, doch natürlich gab es ständig von beiden Seiten Versuche, das Gleichgewicht zu den eigenen Gunsten zu verschieben.
Als wäre es nicht genug gewesen, den konfessionellen Frieden aufrecht zu erhalten, betrieb der Kaiser daneben noch die internationale Politik. Allerdings ziemlich glücklos. Er versuchte seinem Lieblingsbruder Ernst den polnischen Thron zu verschaffen. Seinen Bruder Matthias wies er in die Schranken, als der sich im Handstreich zum Generalstatthalter der Niederlande machte. Im Bewusstsein des kaiserlichen Machtanspruchs versuchte Rudolf außerdem, die Ansprüche des Papstes und des spanischen Königs Philipp II. auf diplomatische Art und Weise zurückzuweisen.
Und dann war da noch der große Krieg gegen die Türken.
Der lange Türkenkrieg (1593-1606)
Das prägende Ereignis der Herrschaft Rudolfs ist der zu Unrecht fast vergessene Türkenkrieg, der als der „lange Türkenkrieg“ in die Geschichte eingegangen ist.
Alles begann mit kleineren Grenzverletzungen von der muslimischen und der christlichen Seite, die sich zu immer größeren Expeditionen auswuchsen. 1592 eroberten die Osmanen Bihac, eine wichtige Festung unter Kontrolle der Habsburger. Damit war der Bogen überspannt, der Krieg hatte begonnen. Rudolf musste etwas unternehmen, wollte er nicht einen großen Teil seiner Gebiete im Osten verlieren.
Doch Rudolf hatte ein Problem. Er war zwar Kaiser des Römischen Reichs Deutscher Nation, doch die Länder, in denen die türkischen Angriffe erfolgten, gehörten gar nicht zum Reichsverband. Theoretisch wäre es deshalb ausschließlich seine eigene Aufgabe gewesen, sie zu verteidigen. Praktisch aber herrschte Ebbe in den kaiserlichen Kassen. Rudolf besaß nicht genug Geld, um eine wirksame Verteidigung seiner Länder zu finanzieren. Er allein hatte den Türken nichts entgegenzusetzen. Da blieb nur eins: Er musste den Fürsten des Reichs erklären, warum sie den Kampf gegen die Türken zahlen sollten.
Für uns scheint es heute selbstverständlich, dass es die Sache aller Christen des Reiches war, die Türken zu „besiegen“. Wir erkennen die großartige Leistung nicht mehr, die Rudolf und seine Diplomaten vollbrachten. Rudolf überzeugte die Reichsstände – auch die protestantischen! – ihm Türkenhilfe zu zahlen, als würde das Reich selbst angegriffen.
Die kaiserliche Zentralregierung nutzte alle, wirklich alle modernen Medien, um ihre Sicht des Türkenkriegs zu publizieren. Die Zahl der Einblattdrucke, die von der Front berichten, ist enorm. Dazu kamen andere Medien, so natürlich auch die Medaillen.
Betrachten wir ein Beispiel: eine Gussmedaille, die in vielen Metallen produziert worden sein dürfte, um an die Höfe Europas verschickt zu werden und so Rudolfs Sicht der Dinge darzustellen. Sie zeigt auf der Vorderseite Rudolf als Kaiser auf einem Pferd reitend. Die Darstellung erinnert an das Bronzestandbild des Marcus Aurelius, das damals jeder auch nur halbwegs gebildete Adlige kannte. Von links fliegt eine Victoria herbei, um das Szepter und damit die Herrschaft Rudolfs zu bekränzen. Wieder sehen wir den Kreis des Ouroboros als Zeichen des neuen Jahrhunderts. Um dieses Zeitalter siegreich zu beherrschen, hat der Kaiser die Kriegsfurie besiegt. Sie liegt in der Gestalt einer alten Frau am Boden, so dass Rudolfs Pferd über sie hinwegschreiten kann.
Viel interessanter aber ist die andere Seite, auf der Kaiser Rudolf als Herrscher im Kreis der Kurfürsten sitzt. Auf den ersten Blick hat das so gar nichts mit dem Türkenkrieg zu tun. Nur wenn man weiß, dass es der Reichstag war, der die notwendigen Mittel für den Kampf zur Verfügung stellte, wird klar, warum Rudolf sich hier als Herrscher des Römischen Reichs Deutscher Nation zeigt. Die Türkenkriege sind dabei nicht nur impliziert, sondern im Bild detailliert angesprochen: Zu Rudolfs Füßen liegt ein gefesselter Türke als Symbol des Sieges. Zur Rechten des Kaisers (vom Betrachter aus links) steht eine leicht geschürzte Dame mit dem Lorbeerzweig, die dem Kaiser den Siegeskranz aufsetzt. Es ist Victoria, die Personifikation des Sieges. Zur Linken von Rudolf (vom Betrachter aus rechts) schwingt Bellona, Herrscherin über den Krieg, ihr Schwert. In der Hand hält sie die Siegespalme.
Nur leider wollte es mit dem Sieg nicht so recht klappen. Die Finanzierung reichte hinten und vorne nicht und musste mit großen Zugeständnissen an die protestantischen Reichsstände erkauft werden. Kein Wunder, dass Rudolf die Eroberung Raabs zum zentralen Geschehen des Krieges stilisieren musste.
Im 3. und letzten Teil lesen Sie, wie die Eroberung von Raab Einzug in die Medaillenkunst fand und welche Bedeutung die Kunst und das Sammeln in Rudolfs Leben hatten.
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